2.04.2016

Im Horizont des Atheisten

 

Richard Dawkins zum Fünfundsiebzigsten

Ehrlich – ich beneide ihn um die Naivität, mit der er alles, aber auch alles von dem Universum erwartet, das ihn umschließt. Wenn man nur alles darüber wüsste – würde man, ich traue es ihm zu, so zu denken, auch Unsterblichkeit erlangen können. Solch grundsätzlicher kindlicher Optimismus ist bewundernswert.

Aber manche Dinge versteht er dann doch nicht. Zum Beispiel kann er mit dem Phänomen Religion überhaupt nicht umgehen. Das sieht man aus jeder Zeile, die er in seinen religionskritischen Werken verfasst. Sie bleiben sämtlich an der Oberfläche eines schlechten Religionsunterrichts – den er vielleicht auch nur genossen hat – stecken. Das psychologische Motiv des Religiösen bleibt unverstanden. Dabei ist es nicht schwer zu benennen: Religion entsteht dann, wenn ein Mensch einen von ihm nicht  beeinflussbaren Sachverhalt dennoch zu beeinflussen versucht, weil es ihn schlicht ärgert, dass er es nicht kann. So sind den auch die Religionen in ihren Anfängen magisch orientiert. Sie wollen  etwas zwingen oder wenigstens kontrollieren, das sich ihnen in Wahrheit entzieht. Der Mensch kann den Lauf der Gestirne nicht beeinflussen, er kann den Tod nicht aus der Welt schaffen, weil er notwendig zum universalen Recycling des Lebens in dieser Welt gehört – aber auf der andern Seite mag er, weil er in sich selber ganz andere Kräfte spürt, diesen Umstand auch nicht gelten lassen. Das Ergebnis dieses Zwiespalts sind die Religionen und das ist es, was Dawkins, ausschließlich fokussiert auf eine späte Version von Religion, nicht  begreifen kann.

Dabei könnten ihn seine eigenen Beobachtungen wie er sie im „Gotteswahn“ angestellt hat, eines Besseren belehren – aber er ist unfähig. deren Tragweite zu erkennen, eben weil ihm die Einsicht in die von mir vorhin erwähnten „Kräfte“ fehlt. Er kann sich selbst nicht bis dahin nachspüren, begreift weder die eigene Ohnmacht, noch die eigenen Fähigkeiten bis zu ihrem jeweiligen Grund. Er begreift nicht, dass sich in dem Menschen, den er meint, die Akzidenzien der Göttlichkeit manifestieren und das sogar so weit, dass sie ihm in seltenen Momenten sogar als inneres Bild sichtbar werden. Hier tritt allerdings das Verhängnisvolle der Religion zutage indem sie das, was der Mensch erlebt, nicht als Verdeutlichung seiner selbst gelten lassen will, sondern es irgendeinem „Gott“ zuschreibt. Aber da dies durchweg und in allen Religionen geschieht, kann man es Dawkins wohl nicht anlasten – es bedürfte eines weiteren Horizontes als er ihn hat, um auf diesen Betrug zu kommen – immerhin, da mir dies möglich war, dürfte es allgemein nicht unmöglich sein. Es wird also wohl an seiner gutbürgerlichen Selbstbeschränkung auf offiziell vorgegebene Ansichten liegen, dass er nicht darauf kommt. Seine Kritik bezieht sich auf die „Meinung von…“, nicht etwa auf die Sache selbst.

Aber „Sciencefiction“, wie Benedikt XVI es erst neulich genannt hat, ist das alles auch nicht. Denn nichts davon greift gedanklich über sich selbst hinaus, alles bleibt im Rahmen bürgerlicher Denkgewohnheiten und damit letztenendes perspektivlos. Man reibt sich ein bisschen wohlig an der harten Rinde eines monotheistischen Religionsbegriffs, aber im Grunde geschieht nichts Ernsthaftes. Man ist dagegen – nun gut, man ist gegen Manches. Aber das Phänomen selbst hat man nicht einmal angekratzt. Man ist im Gegenteil glatt und bruchlos auf den Betrug hereingefallen, hat ihn nicht einmal bemerkt, als man ihn sozusagen unterm Messer hatte. Und damit ist das Schicksal eines naiven Atheismus denn auch entschieden. Er bleibt Oberfläche. Er bleibt Traditionalismus. Er bleibt infantile Opposition. Natürlich gibt es keinen Gott. Natürlich ist das Universum nicht erschaffen. Natürlich ist die Welt mehr als sechstausend Jahre alt. Natürlich führen die Religionen zumeist Mumpitz auf – aber mit diesem Mumpitz beerdigen sie weltweit auch das Streben des Menschen nach seiner eigenen wahren Natur, die nämlich genau dies ist. was sich der Mensch als Gott zurecht gelegt hat – oder wenigstens so ungefähr. Er spürt es in sich und kann es sich selbst nicht glauben, weil die Religionen – und auch der Atheismus – ihn daran hindern. Es ist nicht genau so, wie es die Religionen beschreiben, sie tun manch Abenteuerliches hinzu. aber es ist doch weitestgehend eben auch genau so, wie man es sich vorgestellt hat: ein unsterbliches Dasein und je nachdem auch ein allmächtiges und allwissendes – nur nicht im Rahmen dieser Welt, nur nicht im Rahmen des Menschseins. Das, was wir da gefunden haben, weist weit über den Augenblick hinaus in dem wir es fanden, weist uns in eine andere, uns bis dato vielleicht unbekannte Wirklichkeit in der wir erst voll das sein werden, was wir sind. Ich habe das, weil es eben die Existenz eines einzigen alles beherrschenden transzendenten Gottwesens bestreitet, aber die Existenz eines unendlichen Lebendigen, das seiner selbst fortlaufend bewusst wird. anerkennt, spirituellen Atheismus genannt und musste mir dafür niedrigste Unterstellungen gefallen lassen, wie sie nur aus dem Hirn eines religiösen Traditionalisten primitivster Prägung entstehen konnten – aber das reicht wohl dann nicht aus, meine Beschreibung des spirituellen Atheismus vom Gegenstand her zu widerlegen – denn mit derart trüben Unterstellungen gibt sich diese nicht ab.

Allerdings kann ich auf der anderen Seite auch nicht gut anders, als Richard Dawkins zu wünschen, dass er in sich dieser Sphäre selbst erkennen möge… man ist dazu nie zu alt, ich pflege zu sagen: Schluss ist, wenn der Sargdeckel zufällt. Ihm aber wünsche ich, obgleich ich es nicht glaube, noch viele von Neuigkeiten erfüllte Tage und Jahre… und ich wünsche ihm, dass er sich seiner Pioniertat endlich auch bewusst werden möge

 

Berlin im April 2016

Juliane Bobrowski

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