9.10.2015

Thomas von Aquin und die Gnosis

Das dreizehnte Jahrhundert unserer Zeitrechnung ist das Jahrhundert, in dem die letzte Bastion der Gnosis stürzt. Aber bereits am Ende des zwölften Jahrhunderts unserer Zeitrechnung wurde sie durch die Fehlentscheidung von St. Felix da Caraman 1197 sozusagen von innen unterhöhlt. Eine schroff aggressive und überdies zugespitzt eschatologisch und theistisch ausgerichtete Spielart, die zuvor im Osten Europas bereits an ihrer eigenen Aggressivität gescheitert war, hatte es unternommen, den tausendjährigen Frieden, der von wenigen Ausnahmen abgesehen, bis dahin im Westen Europas zwischen dem Christentum und der Gnosis geherrscht hatte, zu stören. Prominentester Vertreter dieser Richtung war der Grieche Niketas. der es auf einer Versammlung an besagtem Ort erreichte, dass sich die Mehrheit der versammelten katharischen Größen für seine Position einer schroff dualistischen und offen christentumskritischen Gegenkirche erklärte, die das provençalische Katharertum bis dahin über tausend Jahre niemals hatte sein wollen. Wohl wäre ein derartiger Zusammenhalt wie ihn die Katharerkonvente sei Jahrhunderten besaßen, nicht ohne festere Strukturen zu gewährleisten gewesen, dieselben waren aber niemals klerikal, sondern immer nur verwaltungstechnisch motiviert. Binnen kurzer Zeit wurden diese Strukturen nun mit einem klerikalen Charakter überzogen und für eine kurze Zeit wurden die Katharer in der Tat zu einer der katholischen gegenüber äußerst aggressiven Gegenkirche. Vordem war man den Christen aus dem Wege gegangen, hatte auch niemanden dazu motiviert, die Kirche zu verlassen und es stets toleriert, wenn Credentes sich auch der christlichen Sakramente bedienten, da ohne dieselben ein vollwertiges gesellschaftlich integriertes Leben nicht möglich gewesen wäre. Da dem so war,  hatten sie sich selbst in den Konventen eine ordensähnliche Struktur gegeben und bildeten selbst eine  soziale Körperschaft der „eigentlichen“ Katharer, die den sonst in der Gesellschaft Entwurzelten eine rechtliche Zugehörigkeit und Heimat bot.

Die mittelalterliche Gesellschaft der Provençe mit ihren zahlreichen Credentes bekam von diesen internen Veränderungen – immerhin wurden viele Konvente nochmals unter nun ausgesprochen sakralen Vorzeichen neu begründet – nichts mit. Für sie blieben die Katharer als ihre Seelsorger das, was sie immer gewesen waren: kniefällig verehrte Vertrauenspersonen männlichen wie weiblichen Geschlechts. Aber die Haltung der Kirche gegen die Katharer spitzte sich aufgrund ihrer aufflammenden Aggressivität dieser Kirche gegenüber immer mehr zu. Am Ende, das ist bekannt, kam es zur Vernichtung der provençalischen Katharerbewegung und die Inquisition unterschied nicht zwischen Katharern „alter“ oder „neuer“ Obödienz. Im Jahre 1244 fiel die zentrale Festung Montségur in den Pyrenäen, zehn Jahre später die letzte von Credentes gehaltene Burg Queribus. Die letzten Katharer wurden erst 1309 und 1310 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bis dahin hatten sich in der Provençe immer noch versteckte Konvente um einzelne Katharer erhalten.  Ihre Struktur als Ganzes aber war längst vernichtet und die immerhin beachtlichen Reste hatten sich in heimlichen Flüchtlingsbewegungen über Italien und Osterreich bis in die böhmischen Wälder zurückgezogen.

In den Jahren um 1225, genau weiß man es nicht, erblickte auf der Burg Roccasecca der siebente Sohn des Grafen Landolfo d‘ Aquino das Licht der Welt. Er wurde seinem Onkel zu Ehren auf den Namen  Tommaso – Thomas getauft. Die Aquino – Brüder gehörten zu den treuesten, langjährigsten und engsten Mitarbeitern des Stauferkaisers Friedrich II, der zugleich König von Apulien, also des italienischen Südens war und dort weiträumige Staats- und Rechtsreformen betrieb. Als Thomas geboren wurde, war der Kaiser und König gerade fünf Jahre lang mit diesen Reformen beschäftigt, die er seit 1220 Schritt für Schritt einführte.

Als jüngster Sohn wurde der kleine Tommaso 1231, also mit fünf Jahren, als Oblate dem berühmten Benediktinerkloster Montecassino übergeben – er sollte in diesem ehrwürdigen Orden ein Mönch und später so Gott wollte, ein Abt in diesem Kloster werden, das vom heiligen Benedikt selbst begründet worden war und wo ein anderer Bruder seines Vaters, Sinibaldo, Abt war. Der Abt von Montecassino hatte im Benediktinerorden den – inoffiziellen – Rang eines Ordensoberen, denn eine zentrale Leitung gab und gibt es bei den Benediktinern nicht. Aber der junge Tommaso zeigte sich widerspenstig – nicht im behäbigen Benediktinerorden wollte er bleiben, vielmehr zog es ihn in den gerade neu begründeten Bettelorden der Dominikaner, deren Beweglichkeit, Scharfsinn, unkonventionelle Frömmigkeit und gründliche Gelehrsamkeit ihn anzog. Die Familie hielt wenig von dieser damals noch durchaus unsicheren Perspektive und versuchte – unter Einbeziehung des Kaisers – Tommaso, auch mit Zwangsmaßnahmen, umzustimmen, aber der blieb hart und endlich gab die Familie nach und ließ ihn ziehen, da er das bindende Ordensgelübde bei den Benediktinern noch nicht geleistet hatte, sondern nur das nicht bindende auf Zeit des Noviziats. Thomas ging nach Paris, wo er seine Studien der Theologie begann und abschloss, später lehrte und lebte er in Orvieto, Rom, Paris und Neapel. Er starb 1274 in Fossanova, auf der Reise zum zweiten Lyoneser Konzil. Er hinterließ ein umfangreiches theologisches und philosophisches Werk, das seine Wirkung bis in die Gegenwart der katholischen Theologie entfaltet und mit dem er die Rolle der Vernunft innerhalb der christlichen Dogmatik nachhaltig begründete. Kein katholischer Theologe kommt noch heute um die Begegnung mit Thomas von Aquin herum, auch wenn er sich seinen Intentionen persönlich nicht anschließt.

In der Beziehung zu den häretischen Bewegungen seiner Zeit ist seine Haltung der allgemeinen christlichen Konvention entsprechend – er will mit ihnen nichts zu tun haben, obgleich der Orden, dem er angehörte, gerade aus dem Grund geschaffen worden war, um ein intellektuelles Gegengewicht gegen vornehmlich die Katharer zu erhalten. Thomas sah seine Aufgabe mehr darin, eine dezidiert christliche Philosophie zu schaffen als deren Vorbild er den damals relativ neu entdeckten Aristotelismus sah. Mit katharischen oder anderweitig gnostischen Denkweisen hatte er nichts gemein, er bekämpfte sie auch nicht, sondern lehnte dergleichen kategorisch ab ohne sich weiter darum zu ereifern. Sein Hauptaugenmerk lag auf der – seiner Ansicht nach möglichen – vernunftgemäßem Erkenntnis Gottes, die er daraus ableitete, dass, wenn der Mensch „Gott“ zu denken imstande sei, dieser auch existieren müsse, da der Mensch nichts zu denken vermöge, das nicht auch existiere. Über diesen hinaus aber vermöchte der Mensch nichts mehr zu denken, also stelle er die höchste Form des Seins dar. Man sieht schon aus diesem Detail seines denkerischen Gebäudes, das ihn alles von der Gedanken- und Erfahrungswelt der Gnosis trennt, die ja eben nicht auf die Erkenntnis Gottes, sondern auf die Erkenntnis der wahren Natur des Menschen abstellt. Der Gedanke, respektive die spirituelle Erfahrung, dass der Mensch in seinem wahren Wesen diesem Gott gleich und ganz und gar ein solcher sein könnte, ist seinem Denken absolut fremd und ungeheuerlich. Gott ist für Thomas immer noch ein personales Phänomen – kein individueller Zustand, als der er in der Gnosis verstanden und damit für den Menschen zu einer individuell erreichbaren Lebensform wird.

Wir gehen also nicht fehl, wenn wir die Gedankenwelten der Gnosis und die des Aquinaten säuberlich auseinander halten – auch dann nicht, wenn wir seiner späten Distanzierung von seinen eigenen Werken als „leerem Stroh“ Glauben schenken wollen – den Bezug zu Gott als zu einem Gegenüber legt Thomas auch dann nicht ab. Nun ist aber das Wunder geschehen, dass einer unserer ältesten Bestreiter, der Bruder Rolf, einen engen Zusammenhang zwischen Gnosis und dem Denken des Aquinaten festgestellt haben will. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, woher er diese Weisheit hat. Aber er hat sie und beharrt steif und fest auf ihr. Wo steht im ganzen thomistischen Werk auch nur andeutungsweise der Satz, dass in seinem tiefsten Grunde der Mensch eben das in sich beschlösse, was die Religionen Gott zu nennen belieben und dass es ihm anheimgestellt wäre, dies in sich zu erschließen oder eben nicht zu erschließen. Anscheinend aber hat er einen solchen Satz gefunden, über den die Theologie dann verständlicherweise mit Schweigen hinweg gegangen wäre – was in einem so umfänglichen und weit gestreuten Werk wie dem des Aquinaten ja auch nicht schwer gewesen wäre, denn wer kennt schon den ganzen Aquin? Meine eigene Kenntnis erstreckt sich, ich gebe es zu, auch nur auf das, was uns seinerzeit im dogmengeschichtlichen Seminar anvertraut wurde. Wir haben uns dort dann auf die Einsicht verständigt, dass Gott eben auch von Thomas nicht bewiesen, sondern nur individuell erfahren werden könne. Inzwischen bin ich aber auch dieser Definition entwachsen und habe das ganze Spektrum des Religiösen hinter mir lassen können – ohne deshalb zu einem primitiven Leugner der spirituellen Sphäre des Lebens zu werden. Mein Intellekt mag eine Angelegenheit meines Gehirns sein – meine Vernunft und vor allem mein Bewusstsein von mir und der Welt ist es mitnichten, denn es wird mein Gehirn bei weitem überdauern. Ewigkeit hat kein Maß und vom menschlichen Ort her gesehen habe ich schon manchmal ein bisschen Angst vor dieser Unermesslichkeit, in der all unsere Vorstellungen von Dimension fehlgehen und dennoch eines nie dem anderen gleicht. Aber für unseren Rolf ist Gnosis halt thomistisch. Nun gut, wenn es ihn so befriedigt, lassen wir auch mal gern fünfe gerade sein… aber ansonsten und für wirklich Suchende bestehen wir lieber darauf, dass sie ungerade sei, diese verflixte Fünf. Jedenfalls – fünf Euro für den, der den Nachweis führt, dass der Aquinate dasselbe propagiert wie die Gnosis – aber ich denke, das Geld kann ich behalten.

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