21.10.2014

Die Ferse des Achilles

Ich verfolge seit einiger Zeit mit mehr oder weniger Vergnügen, wie die katholische Kirche immer schlechter mit den gesellschaftlichen Veränderungen zurechtkommt, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ergeben haben. Wenig Vergnügen bereitet mir dabei die faktische Unentschlossenheit, mit der sie den sozialen Herausforderungen begegnet, die sich durch die Alleinherrschaft des Kapitalismus stellen. Viel Vergnügen bereitet es mir hingegen, wenn ich die Ratlosigkeit sehe, mit der diese Ideologie gewissen Erscheinungen einer fortschreitenden Liberalisierung zwischenmenschlicher Beziehungen begegnet. Und ich kann nur sagen: ich hab’s kommen sehen. Die katholische Kirchenführung steuert sich selbst ins Abseits, weil sie mit dem Erbe ihrer eigenen Unzulänglichkeiten nicht umgehen kann.
Jede Ideologie hat ihre Schwachstelle in dem Zeitgeist, aus dem heraus sie entstand und gegen den sie zu ihrer Zeit revoltierte. Im Falle des Christentums war es eben die Liberalisierung der Lebensformen, gegen die es Sturm lief – und noch heute läuft. Familien waren damals wie heute mehr rechtliche als genetische Verbände, das alte Prinzip des genetischen Zusammenhalts war zur frühen Kaiserzeit mehr oder weniger ausgehöhlt, jeder lebte mit jedem zusammen, Ehen wurden geschlossen und geschieden wie es passte, das Konkubinat war eine stehende Einrichtung und ob jemand mit einer Frau oder mit einem Mann zusammen ein Paar bildete, war dem Menschen jener Zeit eigentlich gleichgültig – verächtlich war nur die Prostitution. Selbst im sonst so strengen Judentum war den Männern und unter Umständen sogar den Frauen die Ehescheidung erlaubt – wenn nämlich der Mann seine ehelichen Pflichten nicht erfüllte. Misshandlung hingegen war kein Scheidungsgrund, denn dem Mann stand als Vormund der Frau das Züchtigungsrecht zu.
Es ist nur zu verständlich, dass die Christen diese ihre Haltung dann mit einem entsprechenden „Herrenwort“ begründeten – das haben sie in anderen Fällen, wie im Fall der Taufe und der Mission auch getan, vom „Sakrament des Altars“ gar nicht erst zu reden. Dies „Herrenwort“ haben die Christen aller Konfessionen nun in ihren Unterlagen zu stehen und es gilt ausnahmslos für alle: wer eine Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe. Was dann impliziert, dass ein Geschiedener von einer neuen Frau guten Gewissens geheiratet werden kann – sie bricht die Ehe nicht. Es kommt also immer darauf an, wer… und so lautet mein Vorschlag an die Bischöfe, die auf ihrer Synode keinen Konsens finden konnten, dass sie doch einmal danach fragen mögen, wer denn nun der geschiedene Partner wäre. Ist es die Frau, bedeutet das Ehebruch und Exkommunikation, denn Ehebrecher sollen nicht in die Gemeinde des Herrn kommen. Ist es aber der Mann, so existieren keinerlei Hinderungsgründe für den Empfang der Kommunion, denn für geschiedene Männer gibt es kein Herrenwort. Nun ist aber heutzutage oft sehr unklar, wer denn nun der geschiedene Partner ist und erst recht, wenn beide geschieden wurden – für diesen Fall gibt es auch kein Herrenwort und damit keine dogmatische Vorschrift. Nur die geschiedene Frau fällt unter das Verdikt des Ehebruchs, falls sie wieder heiratet – da man dies aber heute kaum noch feststellen kann, ob sie eine Geschiedene oder nur die ehemaligen Partnerin eines Geschiedenen ist, lasse man die Angelegenheit auf sich beruhen. Und schon hätten wir den Konsens um den die Bischöfe ringen. Zu weit gedacht, meine Herren, bei der Sache zu bleiben hätte mehr gebracht. Zu viel assoziiert… also: wer eine Geschiedene heiratet, bricht die Ehe. Schön. Aber: wer einen Geschiedenen heiratet, bricht die Ehe demnach nicht. Nehmt doch die Schrift mal wörtlich. Pech für die Mädels… aber auch wieder nicht, denn sie sind ja nur, was bei der Scheidung des Mannes, der ja weiterhin vollwertiger Christ bleiben kann, unschuldig übrigbleibt, also her mit Kardinal Kaspers Barmherzigkeit. So haben wir doch das Problem am Ende für alle beide aus der Welt geschafft.
Problem Zwei: die gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Sie war zu den Zeiten der Antike so nicht absehbar. also haben wir auch kein Herrenwort. Wir haben nur den Gesetzestext, der gleichgeschlechtliche Liebe generell unter Verdikt stellt. Nicht einmal die Liebe, ich korrigiere mich, sondern lediglich den Sexualakt, sei er ein- oder auch mehrmalig. Aber gilt die Thora auch für Christen? Paulus meint: nein, sie gilt nicht. Demzufolge gilt auch was sie in Bezug auf die gleichgeschlechtliche Beziehung sagt, nicht mehr. In der Tat – Paulus verdammt in seiner Aufstellung im Korintherbrief ja auch nur die Prostitution. Den halben Satz aus Römer lassen wir mal als Einschub unbeachtet. Denn die Passage im Korintherbrief steht im Kontext der übrigen Gedanken, streichen wir aber den halben Satz aus Römer ändert sich inhaltlich nichts. Damit aber sind die Christen fein heraus – und die partnerschaftliche Bindung von Menschen gleichen Geschlechts steht als rechtliche Möglichkeit, obgleich damals nicht absehbar, der ehelichen Gemeinschaft gleich. Sie hat sogar eine bessere Legitimation als zum Beispiel das – evangelische – Pfarramt für Frauen. Wir können die Theaterbleche wieder einpacken und uns ernsthafteren Problemen zuwenden.
Reden wir noch ein wenig über ein ebenfalls obsoletes Problem: das Priesteramt der Frau. Wir erinnern uns vielleicht daran, dass Jesus in der Bibel überhaupt keine Priester berufen hat. Demzufolge ist die gesamte Ämterhierarchie in der Kirche Geschichts- und Auslegungssache. Sie entstand, das wissen wir, erst im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung und formte sich ab den vierten aus, den letzten Schliff erhielt sie erst im Mittelalter. Es bedeutet also keinen Bruch mit den Schriften, wenn Frauen am Altar dienen, denn den Altar gab es zu Jesu Lebzeiten – ich meine hier den biblischen – sowieso noch gar nicht. Ihre Legitimation im priesterlichen Amt ist ebenso gut oder ebenso schlecht wie die der Männer. Der biblische Jesus hat keinen einzigen Priester geweiht. Er hat nach der Schrift nur den Petrus zum Hüter seiner unmittelbaren Freunde bestellt. Mehr gibt das Johannesevangelium nicht her. Und sie waren allesamt Laien… also bitte.
Was dem Christentum und zwar dem aller Konfessionen aber sehr wohl ansteht, ist ein sichtbares und spürbares Engagement an der Seite der Armen dieser Welt. Das ist ihr Platz den es vor zweitausend Jahren verlassen hat. Seither hat sie diejenigen, die für die Armen und gegen die Armut Partei ergriffen, als Ketzer geschmäht und als Irrlehrer verfolgt. Sie, die den Frieden nicht nur predigen, sondern verwirklichen sollte, hat ohne Ende Waffen und Soldaten gesegnet und den Armen hat sie gepredigt, dass sie sich ruhig verhalten sollten, weil sie im Leben nach dem Tod entschädigt werden würden – nun, niemand hat je davon Kunde gebracht, dass dem auch so wäre.
Aber für die Armen Partei zu ergreifen und gegen die Armut, ist etwas, das weit über den Rahmen des Christlichen hinaus geht: arm sind nicht nur Christen und es sind auch nicht nur Christen gemeint, Jesus sprach in seiner Bergpredigt, nehmen wir die Autoren mal beim Wort, vor Juden – vor armen Juden. Inzwischen sind Buddhisten, Hindus, Moslems, Christen, Shintoisten, Konfuzianer, Taoisten, Sikhs, Drusen, Mormonen, diverse Angehörige örtlicher und regionaler Kulte hinzugekommen, sie alle bilden die Familie der Armen, deren der Christ sich nicht nur annehmen soll, er soll auch dafür arbeiten, dass die Armut ein Ende nähme und was sehe ich, was tut er? Nichts. Er labert und labert. Aber sein Predigen bewegt keinen Bankangestellten dazu, seinem Boss das Konto zu sperren. Es bewegt keinen Präsidenten dazu, seiner Lobby den Stuhl vor die Türe zu stellen. Es zwingt keine chinesischen Parteivorsitzenden dazu, seine Wanderarbeiter sesshaft mit Lohn und Brot zu versorgen. Es schafft in Indien und mehr noch in Bangladesh keine Kinderarbeit ab. Ich vernahm noch nicht, dass ein Pharmakonzern in Afrika AIDS – Medikamente kostenlos verteilt – und zwar gültige Chargen. Als die Christenheit mächtig war, hat sie nichts gegen die Armut unternommen und jetzt – ich frag besser nicht. Denn so ohnmächtig, wie sie gegebenenfalls tut, ist sie nun mal nicht. Aber praktische Vernunft ist, scheint’s nicht eben ihre starke Seite – stattdessen bricht sie schon an so einfachen Dingen wie einer den Menschen angemessenen Regelung ganz und gar ephemerer Fragen zusammen….

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