22.07.2014

Mozarts „Zauberflöte“ und moderne Spiritualität

Dass Mozarts „Zauberflöte“ ein Stück unsterblicher Musik ist, wird selbst in einer Zeit, in der Musik mehr als Betäubungsmittel denn als ästhetischer Genuss und ethische Aussage eine Rolle spielt, niemand in Frage stellen. Es ist auch ein offenes Geheimnis, dass Mozart und Emanuel Schikaneder, beide begeisterte Freimaurerbrüder, sich einige Anleihen bei den Ritualen ihrer Vereinigung genommen haben – dennoch ist diese Oper alles andere als ein Abklatsch freimaurerischer Rituale. Sie klärt Menschheitsfragen – und sie ist bei Licht besehen ein Hohes Lied auf die Ideale, denen Selbsterkenntnis sich verpflichtet fühlt.
Zunächst zum Inhalt: Sarastro, Hoherpriester einer ägyptischen Priesterschaft, hat Pamina, die Tochter der „Königin der Nacht“, Frau eines alten Freundes, geraubt, um sie in den Vorstellungen seines Kollegiums zu erziehen und mit dem Sohn eines anderen alten Freundes zu vermählen. Die verzweifelte Mutter, die Sarastro, wie soll es anders sein, in seinem virilen Hochmut von nichts unterrichtet hat, ergreift die Gelegenheit und als ihre Beraterinnern ausgerechnet den Heiratskandidaten Sarastros aus einer gefährlichen Situation befreien (an diesem Punkt beginnt die Handlung) beschließt sie, ihn zur Befreiung ihrer Tochter Pamina einzusetzen. Sie überreicht ihm ein Bildnis Paminas, das den Jüngling sofort begeistert und fernerhin eine Flöte, deren Klang zaubrisch – besänftigende Wirkung haben soll. Tamino, der Königssohn, nimmt das Geschenk an und macht sich auf den Weg zu dem Heiligtum, dem Sarastro vorsteht und in dem er Pamina gefangen hält. Auf diesem Weg begegnet Tamino dem Vogelfänger Papageno, der seine Vögel an die „Königin der Nacht“ abliefert und dafür von ihr mit allem Lebensnotwendigen versorgt wird. Dieser Papageno, übrigens gerade notgeil, spielt sich als Taminos Lebensretter auf und wird von den Damen der Königin dafür zu Recht empfindlich bestraft.
Tamino gelangt zum Eingang von Sarastros Tempel, aber es gelingt ihm nicht, ihn zu betreten. Er befragt einen heraustretenden Priester und erhält die Auskunft, dass man sich den Eintritt in den Tempel erst durch ein gefährliches Ritual verdienen muss. Es wird ihm aber bestätigt, dass Pamina im Tempel und dass sie am Leben ist. Von Liebe zu Pamina getrieben stimmt er der Einweihung zu und wird nun durch die verschiedenen Stufen des Rituals geführt. Sarastro bittet mit der Priesterschaft zusammen um einen glücklichen Ausgang des Rituals, das Pamina mit Tamino gemeinsam absolvieren wird. Auch Papageno hat sich inzwischen am Tempeleingang eingefunden und wird von den Priestern mit seiner Wunschbraut Papagena „bedient“. Seine Prüfung besteht darin, dass man ihn glauben macht, Papagena wäre eine alte Frau – aber ehe er gar keine abbekommt, ist er bereit, die vermeintliche Alte zu nehmen und wie man sich vorstellen kann, ist er von der Wendung der Dinge dann hoch erfreut.
Auch Monostatos (der einzeln Stehende), zunächst Scherge des Sarastro, ist in Pamina verliebt. Aufgrund seiner unansehnlichen Erscheinung aber lehnt Pamina ihn ab und er fühlt sich von ihr ungerecht behandelt – was Folgen haben wird. Monostatos läuft zur Königin der Nacht über und ermöglicht es ihr, das Territorium von Sarastro zu betreten. Dort hat sie eine Auseinandersetzung mit ihrer Tochter, in der sie diese verpflichten will, Sarastro umzubringen (ihre große Arie). Sie überreicht ihr den dazu nötigen Dolch – er wird jedoch eine ganz andere Funktion erfüllen…
Durch die Kraft der Elemente geht Taminos Prüfungsreise und nicht zuletzt mit Hilfe der Flöte meistert er seine Prüfungen – nur an der Probe des Schweigens, die Tamino schweren Herzens aber beherrscht besteht, droht Pamina, die nun an seiner Liebe zweifelt, zu zerbrechen. Sie will den Dolch, den ihre Mutter ihr gab um Sarastro zu ermorden, dazu benutzen, sich selbst umzubringen und kann nur durch die Intervention der drei Knaben, die ihre und Taminos Prüfung begleiten (ein wunderbares Terzett) und ihr Taminos unveränderte Liebe versichern, daran gehindert werden. Im gleichen Moment kündigt der Chor der Priester das Ende des Prüfungsweges an. Tamino und auch Pamina werden unter die würdigen Mitglieder des Tempelkollegiums aufgenommen, die Königin der Nacht und ihre Helfershelfer, die schon weit in den Tempel eingedrungen waren, werden in den Abgrund gestürzt. Ein Loblied des Chores auf Sarastros Weisheit und die Macht der Liebe beendet die Oper.
Nun scheint es bei alledem aber mit Sarastros Weisheit doch nicht so weit her zu sein, denn sein Triumph geschieht auf Kosten der Königin der Nacht, deren Schmerz über den Verlust ihrer Tochter in jeder Hinsicht ungesühnt bleibt – die Inszenierung, die ich sah, übersah dieses Moment allerdings nicht, und zeigte, wie Sarastro auch die Mutter im Kreis der Erlösten anerkennt und aufnimmt – im Libretto ist dergleichen nicht vorgesehen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Wagners Parzival war zu erahnen, in dem am Ende Kundry, die stets unbedankt Helfende, die Botin des Grals, von Parzival die Taufe und damit die Erlösung von ihrem Fluch erhält, auf immer durch die Weltgeschichte geistern zu müssen. Wenn es um die Aufhebung der Dualität von Licht und Finsternis geht, hat Schikaneders Libretto seine zeitgemäßen Schwächen, die aber durch den Bezug auf Pamina als Eingeweihte dann doch relativiert werden „ein Weib, das Nacht und Tod nicht scheut/ist würdig und wird eingeweiht“ singt der Chor und macht damit klar, dass es nicht um das weibliche Geschlecht als solches, sondern um das unbeherrschte Spiel der Emotionen geht, dem Zügel anzulegen auch der Frau möglich ist. Während die Königin der Nacht ihren Emotionen blindlings folgt, lässt sich Pamina selbst unter äußerstem emotionalen Druck noch von Einsichten, auch wenn es nicht ihre eigenen sind, überzeugen und ermutigen. Ihr Glaube an das Gute ist stärker als ihre Erfahrung mit dem Bösen.
Sarastros Weisheiten wirken mitunter sogar etwas abgeschmackt – vor allem wenn er allen, die ihnen misstrauen, die Zugehörigkeit zur Menschheit abspricht. Das darf er nicht, aber er tut es und niemand wagt es, ihm zu widersprechen – wenigstens nicht in dieser Sache. Dennoch sind Einwände auch gegen Sarastros Pläne legitim, wie die Versammlung der Priester zeigt, in der über Taminos Zulassung zu den Prüfungen beraten wird. Der Priester, der Einwände äußert, wird deshalb nicht des Kollegiums verwiesen. Es wird aber klar: sicher ist sich auch Sarastro seiner Sache nicht, er wird nur alles ihm Mögliche für dieselbe tun. Die Angelegenheit selbst muss er wie jeder andere in die Hand der Götter, will hier sagen, in die Hand der Akteure selbst legen.
Die Welt des Sarastro ist eine ideale, nicht die wirkliche Welt. Die wirkliche Welt ist die des Papageno und seiner Papagena, die ihren Weg zwischen den dualen Welten sucht und sie dadurch miteinander in Balance hält. Sarastros etwas weltfremde Weisheit muss diese Ebene dulden und ihre Bedürfnisse berücksichtigen. Und so erhält Papageno, der aus der Sphäre der Königin der Nacht stammt, seine Braut aus der Sphäre des Sarastro, ein Umstand, der in den Inszenierungen bisher kaum beachtet worden ist. In gewisser Weise ist Papagena die Widerspiegelung der idealen Frau unter der Maßgabe des alltäglichen Lebens und Papageno nicht nur der Buffo des Librettos, sondern die sozusagen Legalisierung des Weltlichen, das sich aus beiden Komponenten, der irdischen und der himmlischen speist. In gewisser Weise ist er ein Ahn des Peachum aus Brechts „Dreigroschenoper“, dessen „wir wären gut/anstatt so roh“ hier schon leise anklingt. Sarastros ganze Weisheit führt dahin, dass er diese Konstellation akzeptieren muss. Papageno ist den hohen Idealen der Priester nicht abgeneigt, „nur die Verhältnisse/ die sind nicht so“ geht Peachums Song weiter und dasselbe gilt auch für Papageno, er wird weiter seine Vögel fangen, weil er von irgendetwas leben muss. Auch Sarastro kann nicht von Weisheit allein leben, er lässt sich seine Beratung auch entgelten und hofft für gewährtes Wohlwollen auf leibliche Vergeltung. Mozart schrieb seine unsterbliche Musik auch nicht um Gottes Lohn, sondern war an den Einnahmen aus der Aufführung prozentual beteiligt, ebenso aus anderen Aufführungen seiner Werke. Emanuel Schikaneder aber hatte ein festes Einkommen und war auf Erfolg oder Misserfolg seiner diversen Libretti nicht angewiesen. So ist die Handlung zwar an die Vorstellungen der Freimaurer angelehnt, aber weit davon entfernt, ihre Rituale abzubilden, weshalb die beiden Freimaurer auch niemals Schwierigkeiten mit ihren Brüdern bekommen haben. Nichtsdestoweniger ist diese Oper natürlich auch eine Werbung für die von den Freimauern vertretenen, gerade in dieser Zeit äußerst aktuellen Ideale – es ist die Zeit der französischen Revolution. Aber diese Ideale vertreten eben nicht nur Freimaurer, sondern, dies die Wunschvorstellung Sarastros, sie sollten die allgemeinen Vorstellungen der Menschheit sein. Und so ist der Ruf der „Zauberflöte“ als Freimaurer – Oper, der hier und da noch geäußert wird, eigentlich verfehlt. Mozart hat für seine Freimaurer andere Musik geschrieben und auch deutlich als Musik für die Loge bezeichnet. Sarastro ist kein „Meister vom Stuhl“, sondern die Zusammenfassung der kommenden bürgerlichen Ordnung, während die Königin der Nacht und dadurch wird Schikaneders radikale Lösung auch verständlich, für das Ancien Regíme steht, das ersatzlos weichen soll – nicht jedoch, wie man an der Figur Pamina sehen kann, der Adel an und für sich und auch Tamino, ist er nicht ein Königssohn? Schikaneder hält, wie viele Aufklärer, den Adel als solchen für reformfähig.
Aber im Licht moderner Spiritualität, was will, was kann uns diese Oper sagen? Hält sie modernen Vorstellungen noch stand, hat sie ihnen gar etwas zu geben? Ich denke, sie hat das durchaus: denn wenn man sich die Beliebigkeit ansieht, mit der heute und hier Spiritualität in das bloß Übersinnliche hin abgetan wird, dann erlebt man hier, wie dem irdischen Leben keine unverbindliche „Geistigkeit“ sondern ein unmittelbares Erleben des Elementaren gegenüber gestellt wird, das sogar lebensgefährlich werden kann. Dabei sind die Elemente durchaus sinnbildlich für die Gefahren gemeint, die der „Reisende“ auf seiner Reise durch sich selbst erleben kann und bestehen muss. Es gibt in dieser Spiritualität keinen Weg zurück sondern nur den Weg nach vorn oder ins Grab – wobei auch das Grab nicht unbedingt wörtlich zu nehmen ist, sondern eher den nur allzu fühlbaren Verzicht und die Erinnerung an ein nicht wieder gut zu machendes Versagen bezeichnet. Das alles füllt moderne Spiritualität nicht mehr aus – kein esoterisches Seminar, keine Meditationsrunde orientiert sich mehr daran, sie alle wollen Menschen „erbauen“, nicht sozusagen auf Tod und Leben herausfordern – wer das im Gegenteil versucht, gerät rasch in den Ruf einer schädigenden Psychosekte. Man ist in der modernen Spiritualität in beinahe jeder Beziehung weichgespült, es sei denn, es ginge um Meinungsverschiedenheiten, da ist man rasch dabei, Harmonie auf jede nur mögliche Weise herzustellen und fragt nicht mehr viel nach dem Preis. Auch Sarastro folgt, oberflächlich betrachtet, diesem Modell, wenn er die Königin der Nacht mit Mann und Maus versenkt. Er begegnet dem Widerstand nicht argumentativ, er begegnet ihm gewaltsam. Er will nicht überzeugen, sondern richten. Dabei widerspricht er zwar sich selbst, aber welcher Guru würde nicht um den Preis der Harmonie in seiner Gemeinde sich selbst widersprechen wollen und die eigenen Ideale von Menschlichkeit und Freundlichkeit zum Teufel schicken, sobald sie ihn anscheinend stören? Auch das gehört zur modernen Spiritualität dazu – dass man potentiellen Widerspruch auf Abstand hält und gegebenenfalls mit physischer Vernichtung bedroht. Nur sehr wenige Geistesrichtungen können auf diese Taktik verzichten, fühlen und wissen sich stark genug, auch den im Arm zu behalten, der sich dem Guru bei allem Respekt doch nicht völlig unterwerfen möchte.
Weichgespülte Spiritualität ist es nicht, was uns diese Oper vor Augen führt, sondern hier sehen wir den harten Weg der Tatsächlichkeit, die auf die Befindlichkeiten der Reisenden keine Rücksicht nimmt – aber auf der anderen Seite auch keinen Widerspruch gegen ihren selbstherrlichen Anspruch duldet – entweder jemand besteht die Prüfung nach den vorgegebenen Regeln oder er wird ohne Ansehen der Person in die Finsternis gestürzt, hier die Guten, da die Bösen… und dazwischen die von beiden auf jeweils ihre Weise verachtete wirkliche Welt auf die es letztenendes aber ankommt, denn in ihr und von ihren Menschen wird die Zauberflöte ja inszeniert und gehört….

 

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