18.01.2014

Die Familie

In den Tagen des Neoliberalismus, der von einigen zu Recht als der Faschismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet wurde, hat die Familie keinen hohen Stellenwert, weil sie nicht zu den profitablen Unternehmungen gehört. Damit geht eine weitgehende Liberalisierung dessen einher, was Familie sein kann. Vom Aspekt des entgrenzten Profitstrebens her ist sie nur sehr bedingt tauglich, es sei denn, man verteuere die Dinge, ohne die sie nicht existieren kann, entsprechend und lasse vermögende Familien dafür zahlen, der größere Rest muss ohnehin sehen, wie er mit der Reproduktion der Menschheit hinterher kommt. Denn dass diese Reproduktion irgendwie gebraucht würde, ist selbst den Neoliberalen schon dunkel aufgedämmert. Aber nur dunkel, denn der Neoliberalismus verfährt nach der Devise „nach uns die Sintflut“ und rechnet nicht damit, dass der Menschheit eine über den Tag hinaus gehende Zukunft gehören könnte, kann auch nicht sagen, wie eine solche unter seinen Vorbedingungen überhaupt zu gestalten sein könnte.

Nun sind aber neun Zehntel der Menschheit fest davon überzeugt, eine solche Zukunft, wie schwierig auch immer, vor sich zu haben und können es nicht lassen, die Prozesse der Fortpflanzung ihrer Art immer weiter in Bewegung zu halten. In den Regionen, die vom Neoliberalismus innerlich bisher nicht angefressen wurden, sind diese Prozesse verständlicherweise am vitalsten, in den Kerngebieten des Neoliberalismus, wo sie bereits in den Wurzeln angegriffen wurden, am kritischsten. Auf diese Art also schwindet Europa gerade in seinen wirtschaftlich entwickeltsten Regionen am schnellsten.  Das hat endlich ängstliche Vertreter der Religionen auf den Plan gerufen, aber natürlich erst, als sich der Schwund ebenso eindeutig bemerkbar machte, wie die – erhoffte? – Auslöschung der Menschheit ausgeblieben ist. Es ist zum Ärger der Neoliberalen eben nicht das elektronische Geld allein, das, völlig zweckfrei, übrig geblieben ist, sondern es sind immer noch Menschen auf der Welt, neulich erst wurde gar die Sieben – Milliarden – Grenze überschritten. Was tut man nur, was macht man nur… denn die Gefahr für den Neoliberalismus, dass seine Werte als reine Hülsen ohne Inhalte erkannt werden, steigt mit jedem Hunderttausend. Zudem hat auch der Bankenskandal sogar etlichen Europäern die Augen über die Natur des Neoliberalismus, dieser parasitären Veranstaltung, die auf unser aller Knochen und Kosten lebt, geöffnet und die Deutschen haben die Konsequenzen daraus gezogen, indem sie ihn zumindest aus den demokratischen Institutionen verbannten – es gab unter den Neoliberalen, wir erinnern uns, deswegen unsägliches Gezeter und sogar einige linke Herzchen sind auf dieselben herein gefallen, ich erinnere an den angeblichen Wahlbetrug, der dann doch nichts als ein heißer Wunsch unserer verprellten FDP gewesen ist. Jetzt müssen sich nur noch die Neoliberalen Amerikas, Englands und auch Russlands blamieren und das werden sie tun, versprochen, sie können gar nicht anders. Zumal dann nicht, wenn sich die Menschheit wiederum auf ihren eigenen Wert besinnt und der liegt an der Basis in der Familie. Wie es ihr geht, und zwar weltweit, ist der Gradmesser für die Zukunftsfähigkeit der momentanen gesellschaftlichen Verhältnisse.

Aber wie geht es ihr eigentlich? Die uralte Großfamilie, Ahne und Bürger aller Menschheitsentwicklung, existiert heute nur noch in Armutsgebieten, wo die Eltern und älteren Verwandten in Ermangelung sozialer Sicherungssysteme auf die direkte Fürsorge der nachfolgenden Generationen angewiesen sind. In Europa kennen heute die meisten Erwachsenen ihre Urgroßeltern nicht mehr. Die Autorin gibt zu, dass sie sogar ihre Ururgroßeltern noch kennt und zumindest weiß, wer sie waren und woher sie kamen. Der europäische Standard ist die Kleinfamilie mit zwei Generationen, deren Kinderzahl umso beschränkter ist, je teurer es ist, eine Familie zu gründen – erinnern wir uns an die neoliberalen Interessen in unserer Gesellschaft, sie verteuern von allem die Familiengründung, denn sie zwingen den Staat, zur Aufrechterhaltung seiner Funktionen auf das Geld derer zurück zu greifen, deren Lohne gerade mal für die eigene Reproduktion ausreicht, während die neoliberalen Unternehmungen natürlich möglichst keine Steuern zahlen. Das verteuert dann das Leben insgemein, aber besonders die Sorge für Kinder, die ja selbst eine Zeitlang nichts zum Einkommen beitragen können. Der Staat würde helfen, kann es aber nicht, weil er jeden Heller zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung braucht, das neoliberale Unternehmertum aber wird den Teufel tun, den Staat zu unterstützen, der gesellschaftliche Regeln installiert; sie brauchen nichts so wenig wie gesellschaftliche Regeln, also, wie die Amerikaner so schön offen sagen, eigentlich auch keinen Staat.

So finden sich denn neue Typen der Familienbildung wie die Patchworkfamilie, die in Wahrheit eine Zusammenfassung mehrere Familienfragmente ist. Diese Fragmente entstanden in einer Zeit der sogenannten sexuellen Befreiung. Mit dieser ging nämlich eine verbreitete Antihaltung gegen Institutionen wie die Ehe einher, entweder man ging gar keine rechtlich gesicherte Partnerschaft ein oder man brachte dieselbe mit schwächlichsten Gründen bald wieder zum Einsturz, wenn man denn überhaupt Gründe brauchte und nicht ein momentanes Missempfinden ausreichte. Für Kinder kann das Leben in einer Patchworkfamilie dennoch insofern als positiv erlebt werden, als die Erwachsenen in den meisten Fällen entweder Väter oder Mütter sind und dem Kind die Muster für Vater- oder Mutterliebe, wenn auch oft aus zweiter Hand, übermitteln können. Wir haben es auch mit einer großen Zahl an Familienfragmenten zu tun, die sich nicht in Patchworkfamilien zusammen gefunden haben. Je höher die Kinderzahl in solchen Fragmenten ist, umso größer ist auch die materielle Bedürftigkeit zu der nicht selten noch eine seelische Unfähigkeit hinzukommt, die entstandene irreguläre Situation zu kompensieren. Man kann den Müttern und Vätern daraus keinen Vorwurf machen, sie sind Opfer ihrer Zeit und Familie ist nun einmal wenigstens auf zwei Erwachsene abgestellt, anders funktioniert sie nicht richtig. Einer allein kann sie so wenig ersetzen wie ein amputiertes Bein durch ein Holzbein vollwertig ersetzt werden kann.  Man kann damit stehen, vielleicht auch gehen, aber laufen kann man damit nicht mehr – und in diesem Falle ersetzt auch eine Sportprothese mit der man laufen kann, den Partner nicht.

Bei weitem am problematischsten stellt sich aber die Situation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften dar. Ich teile gewisse Ressentiments nicht, die Homosexuellen die Fähigkeit zu einer lebenslangen Bindung absprechen wollen. Es gibt unter ihnen Veranlagungen, die eine solche ausschließen, aber es gibt ebenso Veranlagungen, die in ihrer emotionalen Ausrichtung der heterosexueller Paare entsprechen. Das ist ein wenig sicher auch davon abhängig, in welchem Milieu man seine eigene Sexualität entdeckt hat und welche Werte man selbst in eine solche Partnerschaft einbringt. Aber ein Manko kann auch in der festesten homosexuellen Partnerschaft nicht aufgewogen werden: ein Kind lernt in ihr nur ein Beziehungsmuster kennen, aber entweder Vater- oder Mutterliebe nicht. Sicher können auch zwei Väter ein Kind lieben, das steht außer Frage; aber ob ein Vater ein Kind wie eine Mutter lieben kann oder ob eine Mutter es fertigbringt, ein Kind wie ein Vater zu lieben bezweifle ich denn doch zumindest ein wenig. Als Versorgungseinrichtungen allerdings sind solche Partnerschaften gewiss ebenso zuverlässig wie es eine entsprechende pädagogische Wohngruppe wäre. Das Kind erhält alles, was es braucht, auch Zuwendung. Aber es braucht, um sich emotional voll zu entwickeln, beides die väterliche und die mütterliche Zuwendung, die in ihrer Art ja verschieden sind. Ein simples Beispiel: ein Vater wird mit dem aufgeschlagenen Knie seiner Tochter ganz anders umgehen als die Mutter, die sich in dem Augenblick selbst als Mädchen fühlen kann und ein guter Vater wird mit der Sechs in Betragen seines Sohnes ganz anders umgehen, als die Mutter, indem ihm nämlich alle seine eigenen Streiche einfallen und dass er es dennoch mit sich selbst zu einem geachteten Zeitgenossen gebracht hat. Ich werde mich nicht dagegen wenden, dass gleichgeschlechtliche Paare Kinder erziehen – aber ich merke an, dass immer einer der Partner das elterliche Verhaltensmuster nicht wird vorleben können, so viel Mühe er sich auch geben mag.

Die Familie befindet sich also nicht in Auflösung, wie einige ultrakonservative Unken behaupten wollen, sie experimentiert mit sich selber und hat es dabei mit einer Reihe von Fehlern der Vergangenheit, aber mit ebenso vielen noch unbetretenen Terrains zu tun. Das Schema der Großfamilie, in dem einer auf den Schultern des Anderen steht, mag das stabilste sein, das Schema der gleichgeschlechtlichen Familie das labilste, Familie sind sie alle und stehen damit in einer ungeheuren Verantwortung, denn wie sie ihre Kinder erziehen, so wird die Menschheit von morgen aussehen, allen Neoliberalen,  die sie nie verstehen werden, zum Trotz und Tort. Diese Kinder werden nicht mehr zum Gehorsam erzogen und daher in vielen Bereichen sehr viel schwerer zu bewegen sein, aber sie werden in der Achtung vor Erfahrungen erzogen sein, die sie selbst für ihr Leben beherzigen und sich ihrer erinnern können. Die Kindheit wird aufhören, der psychologisch interessanteste Teil eines Menschenlebens zu sein, an seine Stelle wird die Zeit treten, in der ein Mensch bewusst Freundschaften schließt und Vertrauen fasst – oder eben auch das Gegenteil davon. Die materielle Prägung, die Domäne des Neoliberalismus, wird sich verflüchtigen, je selbstverständlicher der zivilisatorische Standard weltweit wird. Ja, man hat das, aber es ist nicht wichtig. Es gehört zum Leben, ist keine besondere Wohltat und schon gar kein Statussymbol. Wichtig sind andere Werte: Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Bindungsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Streitkultur, Sorgfalt, Verantwortungsbewusstsein, aber sicher auch der Sinn für Schönheit und Wohlklang – die neoliberale Technowelle ist ja eigentlich schon längst gehörig abgeflaut, es ist nur noch eine, wenn auch beträchtliche, Minderheit, die sich von dieser Monotonie einfangen lässt.

Dabei ist es unerheblich, ob Jugendliche ihre Sexualität mit acht oder mit achtzehn entdecken, denn das Verlangen nach lebenslanger Bindung wird sich vom Diktat der Sexualität mehr und mehr entfernen und nach allgemeineren Werten verlangen. Die alten Zausels, die mit Vierzig ihre Familien im Stich lassen, und Techtelmechtel mit halb so alten Damen beginnen, wird sich bedeutend vermindern – aber die Zahl der Frauen, die in einer Liaison zur linken Hand eine Katastrophe für die eigene Beziehung sehen, auch. Es gibt nichts Besseres, eine solche Liaison zeitlich gehörig einzuschränken, als Toleranz. Denn was erlaubt ist macht dem großen Jungen keinen rechten Spaß mehr. Tödlich ist die freundliche Aufforderung, er solle seine Freundin doch demnächst zum Kaffee mitbringen…. soviel zu der von vielen Männern vor allem als Zwang empfundenen ehelichen Treue. Aber natürlich hat ihnen, den Frauen, Gleiches zu widerfahren. Und so werden sich Familien wie Schimmelfäden kreuz und quer durch alle Etagen der Gesellschaft ziehen und mit ihnen die von ihnen vermittelten Werte eines vollwertigen Menschentums. Und die Neoliberalen lassen wir mit ihrem Geld und mit ihren Gütern einfach da hinten. Sie haben, wie sie es auch selbst formulieren, zu liefern – sonst nichts. Da stehen sie nun mit ihrem „nach uns die Sintflut“ – die Sintflut ist nicht gekommen und nach ihnen kommt immer noch was, das sie nicht in Betracht gezogen haben. Und so werden sie leise weinend einsam untergehen und schon die nächste Generation wird ihrer nur noch achselzuckend gedenken – ja, so was gab’s. Aber Familien wird es weiterhin geben und sie werden im Grunde gar nicht so sehr viel anders aussehen, nur gerade infolge ihrer Verzweigung vielleicht stabiler sein als heute. Denn es wird weniger Gründe geben, eine Familie platzen zu lassen.

Und was ist mit der viel beschworenen Gewalt in der Familie? Es wird die Zeit kommen und sie naht bereits, in der man solche Menschen nicht etwa furchtbar, sondern lächerlich finden wird. In der man keine Verbrecher in ihnen sehen wird, sondern Menschen, die aus irgendwelchen Gründen nicht gelernt haben, mit ihrem Leben zurecht zu kommen. Man wird das Versäumte nicht immer aufholen können, aber man wird und muss Schutzräume für sie finden, in denen sie ihre Gewaltsamkeit ausleben können ohne ihre Mitmenschen dadurch zu gefährden. Das gilt auch für alle, deren Gewaltsamkeit sich mit Religionen schmückt. Man wird sie in Arenen stellen und sie werden Schauspiele aufführen wie einst die Gladiatoren, aber freiwillig, denn ihre eigene Gewaltsamkeit wird sie dazu antreiben. Wer es satt hat, braucht nur die Türe von außen zu schließen… aber wenn er es noch einmal versucht, ist er wieder drinnen und darf tapfer mit allem Hightech kämpfen, das die Neoliberalen ausgetüftelt haben um viel Gewinn zu machen. Den machen sie nun nicht mehr, aber ihr Zeug ist noch nützlich. Drohnen sind allerdings ebenso verschrottet worden wie Atomraketen oder Behälter mit chemischen oder biologischen Waffen, aber in großen Glasdomen dürfen die Jungs einander gern bombardieren – mit Material von angemessener Sprengkraft. Und wer meint das gehöre nicht hierher – das gehört hierher, denn es ist die Zukunft die unsere Familien für sie formen werden.

Also: die evangelische Kirche in Deutschland ist, wenn auch religiös verbrämt, inhaltlich schon auf dem richtigen Weg, wenn sie alte Zöpfe abschneidet und Neues ermuntert. Ich verstehe den Zimmes nicht, den einige Leute darum machen. Es ist sicher nicht alles perfekt – wer könnte das schon perfekt machen, was uns unter den Händen immer fortgleitet, wer zum Augenblicke sagen: verweile doch, du bist so schön… worauf hin ihn sicher sofort der Teufel holen wird und ihr wisst, was es die himmlischen Heerscharen dann für Mühe gekostet hat….

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