18.11.2013

Das Licht der Welt

Das Licht der Welt

Inhalt

Vorwort1

Die Herkunft2

Die Frau. 3

Perfecta. 4

Pamiers. 8

Die verwehten Spuren. 9

Vorwort

Es ist über jemanden zu schreiben, von dem die Geschichte kaum mehr weiß, als den Namen. Wir wissen nicht, wie sie ausgesehen hat, wir lesen nicht, was sie dachte, was wir von ihr wissen, ist, gemessen an ihrer Bedeutung, banal. Es wird also kaum mehr Licht in ein Dunkel zu bringen sein, in dem ihr Name verklärt aufstrahlt – nehmen wir sie als Stellvertreterin und Namensträgerin für ein vergangenes Geschlecht von Frauen, für Generationen von Lehrerinnen, Ärztinnen, Seelsorgerinnen, aber auch Diplomatinnen des Mittelalters, deren Namen bis auf ganz wenige sämtlich dahin gegangen sind. Man kennt einen einzigen Satz von ihr und dieser Satz ist nicht bedeutend, sondern ganz und gar situationsgebunden. Und man kennt die Antwort auf diesen Satz, eine Antwort voller Hochmut, eine Antwort, die ein Krisentreffen zum Platzen brachte. Wir werden diese Antwort an gegebener Stelle noch zitieren und auch kommentieren. Erst einmal aber müssen wir uns orientieren, denn wo die Einzelbelege fehlen, müssen Klarstellungen der Zusammenhänge herhalten um die Angelegenheit zu verstehen und auch, warum wir von dieser Person so wenig wissen. Erstens war sie eine Frau, zweitens war sie eine Katharerin oder sollen wir besser sagen, ein Katharer am Ende des zwölften Jahrhunderts und am Beginn des dreizehnten unserer Zeitrechnung.

Wir können uns viel Propädeutik ersparen, wenn wir mein Buch „Die geheime Geschichte der Katharer“ zu Rate ziehen, in dem ich aus Bergen von Inquisitionsmüll und aus versprengten glaubwürdigen Nachrichten, sowie aus der uns bekannten Praxis der Selbsterkenntnis rückschließend versucht habe, die Katharer der Provençe so zu zeigen, wie sie aller Wahrscheinlichkeit nach wirklich gewesen sind. Der innere Konflikt, von dem ich dort schreibe, bestand zu Esclarmondes Lebzeiten bereits und trug erste bedrohliche Früchte. Das Ende, den Untergang der Katharer in der Provençe, hat Esclarmonde nicht mehr erleben müssen – aber sie hat ihn sicherlich geahnt.

Was kann diese nahezu unbekannte Frau uns heute sagen? Sie kann uns sagen, dass es in einer Zeit, die wir gemeinhin als finster anzusehen belieben, Verstand und Vernunft gegeben hat und dass in einer Zeit, in der Frauen sonst nichts galten, eine Frau die Achtung und Liebe ihrer Zeitgenossen erringen konnte. Wir können sehen, dass Einiges denn doch wohl anders war, als es die Kirche mit ihrer Sicht auf diese Zeit darstellen möchte und christliche Demut nicht überall und nicht für alle Frauen galt. Wir können in Esclarmonde der Haltung der katholischen Kirche zur Frau den Spiegel vorhalten und sie auf ihre Redlichkeit befragen und wir können darüber nachdenken, ob eine pauschale Entschuldigung angesichts des Mordes an einer ganzen Kultur genug gewesen ist.

 

Die Herkunft

Esclarmonde de Foix entstammte dem provençalischen Hochadel. Ihre Mutter Cecile  de Beziers war ein Mitglied des Hauses Trencavel, ihr Vater Roger Bernard regierender Graf von Foix. Ihr Bruder, Ramon Roger, folgte ihrem Vater in der Herrschaft nach – beider Lehnsherr war nicht der französische König, sondern der spanische König von Aragon. Dennoch soll Ramon Roger mit dem französischen König auf den Kreuzzug gezogen sein, allerdings sind die Nachrichten darüber fabelhaft. Nicht fabelhaft ist, dass die Herren von Roquefixade und Montségur ihm untertan waren – beider Burgen sind als sogenannte Katharerburgen noch heute bekannt und er war wohl auch selbst, wie sein Vater, ein Credens, also ein Klient der katharischen Gemeinschaft. Bekannt ist allerdings auch, dass die Grafen von Foix Rivalen derer von Toulouse waren, die ihren Sitz in Carcassonne hatten.

In dieses Haus, das bereits seit Generationen eine katharische Tradition hatte, wurde Esclarmonde um das  Jahr 1151 herum geboren, wuchs also als Edelfräulein mit entsprechender Bildung auf. Im Unterschied zur mittelalterlichen Übung verstand es sich beinahe von selbst, dass die Tochter eines Credens Lesen und Schreiben und auch das Musizieren zusammen mit Handarbeit und Hauswirtschaft erlernte. Sie erlernte es von ihrer Mutter, aber auch von katharischen Damen, deren Aufgabe es war, Mädchen höhere Bildung zuteilwerden zu lassen. Später sollte Esclarmonde selbst eine solche Bildungsanstalt leiten. Erst einmal aber wurde sie verheiratet. Ihr Ehemann war ein Seigneur Jourdain aus dem ebenfalls hochadeligen Haus der de’l’Isle Jourdain, die es zu Ansehen und Besitz, allerdings nicht zu einer wichtigen Position in der provençalischen Herrscherriege brachten. Ihre Bedeutung lag wohl mehr in ihrer Wirtschaftskraft. Mit diesem Seigneur hatte Esclarmonde mehrere Kinder, war also alles andere als ein Mauerblümchen, als sie, nach dem Tode ihres Gatten, nicht etwa ins Kloster verschwand auch nicht ein ärmliche Witwengut unter der Vormundschaft ihrer Verwandten verzehrte, sondern zusammen mit ihrer Schwägerin Philippa de Montcada, der Witwe Ramons,  Katharerin wurde. Ihr Versprechen nahm der hochberühmte Guilhabert de Castres entgegen und man geht wohl nicht fehl, wenn man die Verbindung der beiden auch in der Ausbildung annimmt und sie sich über das Consolamentum hinweg aktiv denkt. Immerhin führte Guilhabert gerade in Fanjeaux ein offenes Haus – genauer gesagt, ein Konvent mit Ausbildungsbefugnis, sozusagen eine katharische Hochschule.

Ihre erste  und sehr ehrenvolle Aufgabe war  ab 1204, dem Jahr ihres Consolaments, die Leitung einer zu Guilhaberts Haus parallelen Mädchenschule, die dem Konvent von Fanjeaux angeschlossen war. Sie  arbeitete dabei mit ihrer Schwägerin Philippa zusammen und wir können annehmen, dass das Leben der beiden Frauen weder von Beschaulichkeit, noch von Langerweile gekennzeichnet war, denn erstens können wir uns lebhaft vorstellen, was einige Dutzend junger und sehr junger adeliger Damen auf die Beine stellen können, zweitens müssen wir uns vergegenwärtigen, dass ein Konvent der Katharer eben kein Kloster war. Das Tor stand den ganzen Tag über offen und die Damen ließen sich sehr wohl auch in den Straßen des Ortes sehen –  kniefällig von den Credentes, ehrerbietig von den Christen begrüßt. Denn der gute Ruf der Katharer stand überall außer Zweifel, zudem sagte man ihnen Kräfte nach, die sich der allgemeinen Beurteilung entzogen. Ob sie solche wirklich hatten, sei dahin gestellt, aber sie verstanden es, ihren Zeitgenossen das Leben auf viele Arten zu erleichtern und sie fragten dabei nicht nach dem Glaubensbekenntnis. Es ist auch anzunehmen, dass sie nicht danach fragten, aus welcher Schicht ein Hilfesuchender kam und mit den adeligen Mädchen werden auch genug Bürger- und Bauerntöchter in den Genuss von Bildung gekommen sein, denn wesentliche Teile des Wissens der Katharer kann man in den Protokollen der Inquisition noch bei Bauern und Schäfern finden – und dieses Wissen war nicht nur für ihre Zeit, es war überhaupt beträchtlich. Teilweise ist es bis heute nicht erreicht worden. Ansonsten fanden Reisende in den Konventen ein Obdach und Verfolgte eine Zuflucht, Kranke und Sterbende fanden Pflege und ein Bett, die Damen halfen, wo immer sie konnten – und sie luden bedeutende Katharer ein, bei ihnen Vorträge zu halten und die Brotbrechung zu feiern, den einzigen Gemeinschaftsritus, den sie kannten und akzeptierten – für ihre Credentes, selbst benötigten sie solche Stützen nicht. Sie lebten ehelos und vegetarisch, nur auf Reisen war ihnen jede Speise gestattet, aber die Damen reisten nicht und mussten sich daher mit Fisch begnügen, der nicht als Fleisch galt und mit anderen Wasserbewohnern, Krebsen oder Muscheln. Wein war ihnen gestattet, man kann aber annehmen, dass sie ihn nicht im Übermaß tranken[1], er war eher  – als leichter Landwein – das Tagesgetränk aller in der Provençe. Man trank ihn meist mit Wasser verdünnt als Schorle. Sie vermissten die Ehe nicht, den die meisten unter ihnen waren verheiratet gewesen, ehe sie Katharer wurden und ihre Ehemänner und –frauen waren ihnen durch den Tod ja nicht entzogen, sondern auf ihren verschwiegenen Wegen konnten sie weiterhin mit ihnen Umgang haben, wenn es sie danach verlangte – aber viele verlangte es nicht danach. Sie lebten in eigenen Gemächern, trafen sich nur zum Essen, zu den Vorträge und zum Unterricht in den größeren Räumen, die übrigens alle heizbar waren, denn die Katharer, die man der strengsten Askese bezichtigt, hielten nichts von Schnupfen oder gar Schlimmerem. Dabei gab es allerdings Unterschiede – die „byzantinischen“ Konvente orientierten sich mehr als die alteingesessenen an der monastischen Kultur und schlossen sich auch strenger von der Umwelt ab. Wir können aber mit einigem Recht annehmen, dass der Konvent der Esclarmonde zu denen mit traditionell provençalischem Lebensstil gehörte. Zur asketischen Meditation hatten die Damen nicht viel Zeit – ihre Zeit war geteilt zwischen Unterricht, Unterrichtsvorbereitung und gesellschaftlichen, sozialen und hauswirtschaftlichen Pflichten. Dazu kamen noch die eigentlichen katharischen Arbeiten, die auch in einem Damenkonvent nicht zu kurz kamen und bei denen sie nicht gestört werden durften, man sagte dann, sie würden beten, weil kein Credens verstanden hätte, was sie da taten. Und natürlich wurden sie im äußeren Kreis von Credentes bedient und von Novizen, die es sich zur Ehre anrechneten, den Damen behilflich zu sein, im engeren Kreis und die lernten Manches dabei.

 

Die Frau

Wie sah sie aus, die Esclarmonde, das Licht der Welt? Es gibt keine Bildnisse von ihr, es gibt von keinem Katharer irgendwelche Bildnisse, sie hielten das nicht für nötig. Sie wird nicht besonders füllig gewesen sein, die Nahrung der Katharer gab keine Fettsucht her. Sie wird auch nicht besonders bleich gewesen sein, denn zwar kosteten die Exerzitien manchmal Kraft, aber eine Schulleiterin kann nicht allezeit schlafen und den Tag versäumen, sie muss für diejenigen da sein, die sie betreut. Sie trug, das wissen wir sicher, ein schwarzes, faltenreiches Gewand, dem Gewand einer Nonne ähnlich, aber von mehr weltlichem Schnitt – eine Art Witwentracht mit entsprechendem Schleier, denn bis in unsere Tage galt es für eine vornehme Frau als unschicklich, ihr Haar offen zu zeigen, Jungfrau hin oder her, war die Jugendzeit vorbei, verhüllt die Dame ihr Haupt. Eine Witwe aber tat dies erst recht, sie verhüllte auch noch das halbe Gesicht dazu, was Esclarmonde wohl nicht getan hat, denn sie musste lehren und befehlen und das kann man nicht, wenn man hinter seinem Schleier hervor nuschelt. Ob sie groß gewachsen war? Wir wissen es nicht, immerhin war sie nicht zu übersehen, als sie in Pamiers aufstand, die Kleriker mit ihren Schandtaten zu konfrontieren und schwach wird ihre Stimme auch nicht gewesen sein. Sie war eine Frau, gewohnt, dass ihre Meinung, ihre Entscheidungen, beachtet werden. Also war sie wohl weder bleich, noch unscheinbar und sie schlug wohl auch nicht demütig die Augen nieder, denn sie war eher gewohnt, dass andere vor ihr die Augen niederschlugen. Immerhin war sie mit dem spanischen Königshaus verwandt und man muss nicht annehmen, dass sie das vergessen hatte – schon von daher empfahl sich also Respekt und um wie viel mehr dann wegen ihres Status als ordinierter Katharer. Diese bescheidenen Leute galten für Fürsten des Geistes und wurden geehrt wie nicht einmal Könige. Aber es ließ sie kalt, sie nahmen es hin, aber es gab ihnen nichts. Die Credentes wollten verehren, und so tat man ihnen den Gefallen und ließ sich verehren. Aber die so Verehrten waren nicht, wie die Kirchenfürsten, unnahbar. Wer sehen wollte, der sah ihre abgelaufenen Sandalen und den Straßenkot am Saum ihres Gewandes. Wer es wollte, sah das von Denken statt von Wohlleben gezeichnete Gesicht. Wer wollte, hörte statt einer abweisenden, eine einladende Stimme. Und sehr viel wollten das: die Seelsorge lag in dieser Zeit und nicht nur in dieser Region, in den Händen der „Guten Menschen“, wie sich die Katharer selbst nannten. Bis in die Mitte Deutschlands, vielleicht gar darüber hinaus, erstreckte sich ihr Verbreitungsgebiet und im Westen waren sie auch auf den britischen Inseln bekannt und, man höre und  staune, geduldet. Der Nordwesten Spaniens, das Geburtsland des Priscillian, der im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung durch die Intrigen der Staatskirche den Märtyrertod starb, war eine Hochburg jener Lehre, der auch Esclarmonde nun verschworen war. Später errichtete man über dem Grab des Märtyrers die Kathedrale des Heiligen Jakob, des Maurentöters und seither pilgern in jedem Jahre Hunderttausende zum Grab des Priscillian, ihm unabsichtlich Ehre zu erweisen. Aber die Katharer waren keine Priscillianer, sie waren auch, entgegen moderner Annahmen, keine Bogomilen. Ihre Lehre war älter und hatte bessere Referenzen als diese. Esclarmonde, die vielleicht nur kleine Frau mit dem großen Durchsetzungsvermögen in der südfranzösischen Stadt Fanjeaux, Freundin und Kollegin Guilhabert de Castres‘ wusste dies und sie wusste noch viel mehr. Denn sie war eine von denen, die der Volksmund – und vor allem der der Credentes – Vollkommene nannte.

Perfecta

So wie in katholischen Adelsfamilien mindestens ein Mitglied für die kirchliche Laufbahn vorgesehen war, so war es in den Familien der Credentes gern gesehen, wenn sich ein Mitglied zu den Guten Leuten hingezogen fühlte. Vor allem für die weiblichen Mitglieder einer solchen Familie war die Existenz als „Vollkommene“ eine gute Alternative zum Kloster. Dies aus mehrerlei Erwägungen heraus: erstens wurde der in Aussicht genommenen Konvent sowieso meist schon von der Familie unterstützt, besondere Ausgaben, wie die Mitgift für ein Kloster, fielen nicht an. Zweitens war eine „Vollkommene“ trotz zölibatären und konventualen Lebens keine Nonne, war nicht zur Abgeschiedenheit verpflichtet, konnte nach ihrer Ausbildung auch weiterhin bei ihrer Familie leben. Drittens hielt das Leben der Gutleute ein sehr viel breiteres Betätigungsfeld für die Frauen bereit als  das Leben im Kloster. Die Frauen gingen in die Häuser und pflegten Kranke, erzogen die Jugend, arbeiteten natürlich auch in der konventualen Wirtschaft, allerdings waren mit Ausnahme der bogomilisch beeinflussten Konvente auch Geburtshelferinnen und ganz allgemein Frauenärzte, betreuten Sterbende, denen sie das für den Todesfall vereinbarte Consolamentum erteilten, waren auch zwischen den oft zerstrittenen Familien als Schlichter und Vermittler tätig. Sie predigten in ihren Konventen auch vor „weltlichem“ Publikum und förderten die umherziehenden Sänger und Komponisten nach Kräften, sei es mit Essen, sei es mit Obdach oder sogar einem Pferd und dem Geld für ein Instrument.

Da die Vollkommenen aber zölibatär zu leben hatten, war es üblich, sich erst in höherem Lebensalter einem Konvent anzuschließen, wenn man nämlich seine Pflicht bezüglich Nachkommenschaft erfüllt hatte. Die Familie verzichtete dann – zuweilen gern – auf ihre Pflichten gegenüber der Witwe und übergab sie in die Mundschaft des betreffenden Konvents. Denn eine Frau ohne Vormund war auch in der katharisch geprägten Gesellschaft unvorstellbar. Jeder Mensch musste einer bestimmten Gemeinschaft angehören, entweder der Familie oder einem Orden oder dem Verband eines Klosters oder er war Lehnsmann oder gehörte zum Jurisdiktionsbereich eines Bischofs oder gar des Papstes – irgendwo musste jeder sagen können, wo er gesellschaftlich daheim war. Im Falle des Vollkommenen war das also die Gemeinschaft der Katharer und insbesondere die Gemeinschaft des Konvents, in dem der Betreffende lebte. Bei „freien“ Katharern, die keinem Konvent angehörten, übernahm der sogenannte Bischof diese Vormundschaft stellvertretend für die Gesamtheit der Gemeinschaft. Sein Amt war also nicht sakramental, sondern rechtlich begründet, um den freien Katharern eine Anlaufstelle und Berufungsinstanz zu geben. Sie wurden auch benötigt, um Konflikte zwischen Kirchen und Katharern zu klären oder wenn es um weltliche Angelegenheiten der Gemeinschaft als Ganzes ging – in Dingen der Lehre aber waren sie den anderen Katharern gleichgestellt und galt ihr Wort nicht mehr als das von irgendjemandem. Weibliche Bischöfe gab es nicht, da Frauen vor weltlichen und kirchlichen Instanzen sowieso nicht ohne Vormund angehört wurden. Aber es gab Frauen, die predigten, es gab Frauen, die das Consolamentum erteilten, es gab Frauen, die andere Frauen zur Ordination führten und die Brotbrechung, die Veranstaltung für die Credentes, leiteten. Frauen hörten Beichte und vergaben Sünden, taten also Dinge, die in der Kirche dem Priester oder einem von ihm Beauftragten oblagen – denn auch Laien durften in der katholischen Kirche predigen, sie dürfen es noch heute, wenn der zuständige Bischof das gestattet. Ein Prediger muss kein Priester, er muss nicht einmal Theologe sein, was den meisten Katholiken aber unbekannt ist. Den katharischen Frauen war es nicht  unbekannt, wenn sie vor Laien sprachen. Nur – sie besaßen nicht die Erlaubnis ihres Bischofs, sie brauchten sie nicht.

Eine Vollkommene lebte einfach – aber nicht armselig. Was zum Leben benötigt wurde, besaß sie in ausreichendem Maße aus dem Gut der Gemeinschaft, in der sie lebte, oder sie verdiente es sich mit ihrer Hände Arbeit, denn es war den Gutleuten verboten, zu betteln. Jeder Gabe hatte ein Dienst zu entsprechen und wenn es das Totenconsolamentum war. Sie besaß in ihrem Konvent ein eigenes Zimmer und, anders als die Monasterialen, waren die Gutleute auch nicht wasserscheu und hielten auf Sauberkeit des Leibes wie sie auf die der Seelen hielten. Ein Konvent hatte den Anschein nicht eines feuchten Klosters, sondern eines gepflegten Hauses, hell und trocken und in den Wintermonaten auch warm – nun, der Winter ist in der Provençe nicht übermäßig hart, Minusgrade sind die Ausnahme, zudem war das Jahrhundert eine sogenannte Warmzeit. Sie hatten eine Menge zivilisatorischen Wissens aus der Römerzeit bewahrt, denn sie existierten seit den Tagen des Augustus in der Gegend, wenn sich auch einige ihrer Gewohnheiten erst unter dem Einfluss mittelalterlicher Institutionen herausgebildet hatten. Hätte eine Vollkommene in unserer Zeit gelebt, so hätte wohl niemand Anstoß daran genommen, wenn sie in ihrer Wohnung Heizung und Warmwasser besessen und auch Telefon und PC ihr eigen genannt hätte. Denn damals wie auch heute wäre ihr alles gestattet gewesen, was sie zu ihrer Arbeit oder zu ihrem Wohlbefinden benötigte… Designerklamotten gehörten und gehören allerdings nicht dazu.

Aber wie wurde man eine Vollkommene? Wie man Nonne wurde, ist klar: man absolvierte ein Noviziat, in dem man an das klösterliche Leben und seine Pflichten gewöhnt wurde, dann legte man die Gelübde ab, empfing die geweihte Kleidung und war Nonne auf Lebenszeit. Die „Gelübde auf Probe“, heute allgemein üblich, hielten erst mit den Jesuiten Einzug ins monastische Leben der römischen Kirche.  Zur Nonne wurden die meisten Mädchen bereits im Kindesalter ausersehen – wer Perfecta wurde, entschied dies selber. Eine Novizin lebte im Kloster – eine angehende Vollkommene konnte im Konvent leben, aber ebenso gut weiterhin in ihrer Familie. Im Anfang war das Leben in der Familie die Regel, dann, unter dem Einfluss der Byzantiner, kam eine mehr klösterliche Disziplin in Anwendung, zu der auch die vielbeschriebene  Übergabe des Vaterunsers gehörte – die Katharer alter Schule beteten nicht, weder ein Vaterunser, noch irgendein anderes Gebet. Die Byzantiner aber, die sich hauptsächlich als Gegenkirche verstanden, beteten heftig und eifrig, taten aber sonst genau da recht wenig, wo die „Alten“ gerade viel taten. Aber die Lehre der Erkenntnis war in ihrem Bereich, dem griechischen Osten, auch sehr schnell in die Tiefen einer spekulativen christlichen Sekte abgerutscht, dort hatte sie sich verfestigt und zu einer Religion mit Kult und Hierarchie umgebildet. Als solche bildete sie dann eine Gegenkirche – was die originale okzitanische Bewegung niemals getan, nicht einmal versucht hatte. Daher interessierten sich denn auch viele okzitanische Kleriker für die alte Philosophie, die sich für eine häretische Kirche sicher nicht interessiert hätten, aber man bedenke, es ist die Zeit der Scholastik und auch auf christlichem Gebiet ereignet sich Erstaunliches. Das Christentum beginnt, sich in der Philosophie auszuprobieren – die Probe muss zwar scheitern, weil das Christentum in seiner Glaubensseligkeit eine ganz und gar unphilosophische Basis hat, aber immerhin – man hat versucht, mit der alten Philosophie zu konkurrieren und es sind beachtliche Werke der christlichen Mystik daraus entstanden, die oft schon die Grenze zur Philosophie streifen, wie im Werk des Meister Eckart oder der Hildegard von Bingen. Für eine Gegenkirche aber interessierten diese Kleriker sich natürlich nicht und so auch nicht für die neueren Entwicklungen auf dem Gebiet der Bewegung, die gerade im Schwange waren, als Esclarmonde ihre Tätigkeit in Fanjeaux begann. Ob sie dieselben abgelehnt hat? Wahrscheinlich – denn sie engten den Raum, den sie als Frau im Mittelalter ausfüllen konnte, nochmals ein, sie gestatten den Frauen die freie Predigt nicht mehr, reglementierten auch ihre Befugnis, Novizen anzuleiten und bis zum Consolamentum zu führen, sie sollten es nur noch in männlicher Begleitung dürfen, was so viel bedeutete als wenn ein von ihnen erteiltes Consolamentum nicht oder nur bedingt gültig sein sollte. Wohlgemerkt, hier ging es nicht um den offiziellen Akt, sondern um das, was diesem Akt voranging. Dennoch traten auch die genuin okzitanischen Katharer für ihre bogomilischen Gefährten ein, sie wussten, die Kirche würde, hatte sie erst einmal eine Handhabe, keine feineren Unterschiede machen und so stand und fiel mit den Byzantinern auch ihr eigenes Schicksal.

Da man also darauf vorbereitet sein musste, dass diese hitzköpfigen Byzantiner mehr und mehr Streit vom Zaune brechen würden, bereiteten sich die Katharer insgesamt breit auf eine Verteidigung vor – sie ließen die Burgen, in denen sich Konvente befanden, stärker befestigen und sie sammelten Vermögen, das sie solange die Wege noch offen waren, durch das Veltlin nach Italien transferierten, wo lombardische Ketzer sich dessen annahmen – gegen einen Preis natürlich, denn die hoch gebildeten Gutmenschen von jenseits der Alpen waren den eher biederen und zumeist tief gläubigen Lombarden nicht geheuer. Mit der Zeit entstand so wenn auch keine „Gegenkirche“ so doch eine straffe Organisation, die auch die möglichen Fluchtwege für Byzantiner und Okzitanier offen hielt, Gastwirte und Bergführer besoldete, Pferd und Wagen bereit hielt, Nahrung, Kleidung und Reisegeld. Bei alledem tat Esclarmonde mit, so gut und soweit sie konnte, immerhin gehörte auch die uneinnehmbare Burg Montségur zum Herrschaftsbereich derer von Foix. Sicher, Esclarmonde hatte auf allen Besitz verzichtet, aber ihre Familie keineswegs und ihre Brüder, Cousins und Schwäger waren allesamt von alters her Klienten der Katharer. Dass ihnen das alles besonders gefallen hätte, nehmen wir aber besser nicht an. Tausend Jahre hatten sie Bestand gehabt, ohne dass es zu nennenswerten Konflikten gekommen wäre – und nun, da die Byzantiner im Land waren, löste ein Konflikt den andern ab, Katharer begannen zu pöbeln und Credentes begannen zu morden und die Opfer waren Priester, die gar nicht wussten, wie ihnen da auf einmal geschah. Hätten sie gewusst, was sich in Byzanz begeben, sie hätten sich weniger gewundert, denn genau wegen solcher Übergriffe und Hetzreden hatten die Griechen ihre angestammte Heimat verlassen müssen, nachdem man ihren militärischen Einsatz nicht mehr brauchte. Und nun waren sie hier, ausgemusterte Soldaten und ihre Prediger, und machten den Süden Frankreichs unsicher. Dabei waren sie selbst unsicher, denn die Atmosphäre Okzitaniens war ihnen völlig fremd. Sie verstanden auch die Rolle der Vollkommenen in diesem sozialen Gefüge nicht. Sie verstanden den Geist nicht, der das alles durchdrang. Sie kannten nur den Geist von Byzanz, in dem Kaisertum und Kirche alles beherrschten und erstickten. In Okzitanien waren die weltlichen Verhältnisse stets relativ zueinander, sie änderten sich, beständig waren nur die geistigen Perspektiven, die jedem Einwohner wenigstens nach dem Tod das Himmelreich eröffneten. Denn die Aussicht auf das – sichere – Totenconsolamentum ließ die Menschen sehr viel fröhlicher und selbstsicherer sein als das in Byzanz jemals möglich gewesen wäre, wo man peinlich darauf achten musste, ein guter Untertan und Christ zu sein. Die Kirchenkritik, in Byzanz das A und O häretischer Aktivitäten, war in Okzitanien zwar nicht verpönt, aber auch in keiner Weise wesentlich. Über die Kirche konnte man schimpfen, zur Messe ging man doch. Man konnte über Priester spotten, zur Beichte kam man dennoch und die Taufe war selbstverständlich – auch für Credentes. Das nun verstanden die Byzantiner nicht und die Okzitanier verstanden nicht, dass die Byzantiner es nicht verstanden. Die Kirche aber und der König von Frankreich rechneten sich aus, dass der Süden binnen kurzem „befriedet“ sein würde, denn militärisch waren sie die Stärkeren – eine schwierigere Position war dem harten Kern der katharischen Bewegung noch nicht begegnet und Esclarmonde zählte, wie die Ereignisse zeigen werden, durchaus dazu.

Wenn sie die Bewegung hätten retten wollen, hätten sie sich von den Byzantinern trennen müssen, das war ihnen klar. Aber genau das wollten sie nicht, denn wenn die Byzantiner auch entschieden zu laut agierten und zu schroff argumentierten – auch sie kannten das Ziel der Bewegung und die Gegner derselben würden, Spaltung oder nicht, nicht unterscheiden wollen zwischen Friedlichen und Hetzern, denn sie wollten etwas ganz Anderes: sie wollten die politische Macht in diesem Gebiet. Sie wollten die Macht der regionalen Feudalherren brechen, das selbstbewusst gewordene Bürgertum in Untertanen zurück verwandeln und aus freien Geistern wieder angstschlotternde Gläubige machen, die brav zahlten, was sie schuldig sein sollten. Zuletzt ging es auch noch darum, den aragonesischen König, der seine Hand bereits weit über die Pyrenäen weg in den Norden ausgestreckt hatte, zurück zu drängen. All das sahen die Katharer um Guilhabert und Esclarmonde ganz deutlich, denn sie waren nicht weltfremd. Und darum, nur darum, trennten sie sich nicht von den Byzantinern, sie wollten sich nicht  noch weiter schwächen. Sie konnten sich noch, wie schon unter den Merowingern und Karolingern, unsichtbar machen bis zur Unscheinbarkeit, aber auch das würde Zeit kosten, die sie nicht mehr hatten. Denn angestachelt durch die Byzantiner rüsteten nun Kirche und König, beide, sichtbar auf und würden zuschlagen, ob nun auf Byzantiner oder auf Okzitanier, auf Ketzer oder auf Grafen. Sie mochten sich dadurch die Hölle verdienen, die ja bei den Byzantinern möglich war, aber das war dann quasi erst übermorgen daran und für das irdische Geschick der Bewegung nicht mehr maßgeblich.

Wie vielen Frauen und Männern Esclarmonde das Consolamentum vermittelt hat, wissen wir nicht, aber sie wird es getan haben, sie wird auch manchen Vortrag gehalten, manche Brotbrechung geleitet haben, wie es ihr zukam. Jedenfalls machte sie ihrem Namen alle Ehre und erwies sich den Menschen, die sie kannten, wahrlich als ein „Licht der Welt“. Woher kann man das wissen? Man kann es an dem  erfahren, was sich auf dem Treffen in Pamiers ereignete.

 

Pamiers

Pamiers ist eine Gemeinde im  südfranzösischen Departement Ariége und zählt heute etwas mehr als fünfzehntausend Einwohner. Es liegt am Ariége – Fluss, der hier die Pyrenäen verlässt und durch eine Ebene der Garonne von Süden her zufließt. Zu Esclarmondes Zeiten war Pamiers eine junge Stadt. Erst 1111 war sie von Roger II de Foix gegründet worden, der auch den ersten Bischof einsetzte – Pamiers war also von Anfang an auch Bistum.

In dieser Stadt trafen sich im Jahre 1207 eine Reihe von Vollkommenen, darunter auch Esclarmonde de Foix, mit Kirchenvertretern, unter ihnen auch der nachmalige Heilige Dominicus, damals noch ein junger spanischer Zisterziensermönch namens Domingo Guzman. Dem Gebot des Papstes Lucius III folgend, wollte man die „Ketzer“ mit Argumenten außer Gefecht setzen, denn es mit Waffen zu tun schien damals noch wenig erfolgversprechend, der König von Frankreich befand sich noch mitten in den Vorbereitungen und da Kriege immer Geld kosten, wollte man sich, sofern möglich, einen solchen ersparen. Da kam die Anregung des jungen Zisterziensers gerade recht, der da meinte, mit Argumenten wäre vielleicht mehr zu erreichen als mit Waffen; billiger war ein Krieg der Argumente allemal.

Die Idee kam aber zu spät. Erste Übergriffe der Königlichen waren bereits erfolgt. Bereits 1181 hatte Heinrich von Albano versucht, sich der Festung von Lavaur zu bemächtigen, deren Bewohner allgemein als Credentes und Schützer von Katharern galten. Die Belagerung musste abgebrochen werden, aber jederzeit konnten neue Feindseligkeiten aufflammen und neue Brände entzünden, die Situation war denkbar labil. Feindseligkeiten lauerten im kirchlichen Lager nicht weniger als im Lager der byzantinisch orientierten Katharer mit ihrer aggressiven Kritik an Kirche und König. Zudem verkannte Domingo die Situation. Er meinte, es ginge darum, Menschen dem Christentum zurück zu  gewinnen, dabei war die Bewegung Lichtjahre vom christlichen Glauben entfernt, sie glich ihm nicht einmal in Ansätzen. Aber Domingo gab sich auch nicht die Mühe, die Gegenseite zu verstehen, ihm ging es einzig und allein um einseitiges Verhandlungsgeschick zu Ungunsten der versammelten Katharer, deren Argumente er durch die Bank nicht zu beachten beabsichtigte, denn in ihnen lauerte – für ihn – der Teufel in Person und die Katharer waren dessen Propagandisten, die Credentes seine Handlanger. Man verließ sich also allein auf die vorgeblich göttliche Macht des Wortes – und war verlassen. Denn es stellte sich heraus, dass die versammelten Katharer, wie immer, die Bibel besser kannten als die katholischen Theologen, obgleich die inzwischen auch nachgelernt hatten. Das Gespräch fuhr sich bald in Äußerlichkeiten fest und aus der Grundsatzdiskussion wurde ein gegenseitiges Aufrechnen reihum begangener wirklicher und angeblicher Gewalttaten. Bei diesem Aufrechnen nun versuchte ein Mönch – Domingo war es wohl nicht – den Katharern ein Massaker zu unterschieben und, als das nicht gelang, die Tat eines Credens, der wohl auf eigene Faust gehandelt hatte, denn die Katharer erteilten derartige Aufträge nicht. Aber ein einziger, nicht sehr kluger Satz eines Mönchs zerstörte die Klarstellung – Esclarmonde wies den Christen nach, dass ihre Gewaltmaßnahmen sehr wohl auf Anordnung geschahen, hingegen nicht die der Credentes. Dabei hätte sie es hingenommen, wenn ihr vorgeworfen worden wäre, die Katharer hätten ihre Credentes nicht im Griff, denn das hatten sie durch tausend Jahre nicht beabsichtigt, aber es kam anders. „Geht zu Eurem Spinnrocken, Dame, es kommt Euch nicht zu, in einer Versammlung von Männern zu sprechen!“ war die Antwort. Wahrlich, an Sachlichkeit war sie nicht mehr zu überbieten, an argumentativer Schärfe und Prägnanz auch nicht. Mit millimetergenauer Kenntnis der jeweiligen Sachlagen hatte der betreffende Mönch sich auf die Angelegenheit bezogen, wie man sieht. Die Antwort der Konferenzteilnehmer konnte nur eine einzige sein: sie nahmen ihre Sachen und verließen augenblicklich den Ort. Auf einem solchen Niveau konnte man nicht vernünftig miteinander reden, wenn man es denn überhaupt je gekonnt hätte. Denn mit der Antwort des Mönchs war auch die ganze Haltung der Kirche, ihre wahre Absicht, klargestellt worden. Es ging ihr nicht um Verständnis, es ging ihr um die Unterwerfung unter ihre Normen und Vorstellungen und dies betrachteten die anwesenden Katharer dann zu Recht als Zeitverschwendung. Wichtigeres war zu tun. Der erwartete Ansturm konnte nicht mehr aufgehalten werden, man musste sich auf ihn einrichten. Denn wer auf eine sachliche Feststellung eine derartige Antwort gibt, der ist entweder nicht ganz bei Trost oder schon eines anderen Sieges gewiss: des der Waffen.

Was kommen sollte, wissen wir. Denn dem geplatzten Gespräch folgte die Ermordung des Pierre de Castelnau und dieser wiederum folgte der große Kreuzzug. der schon in Pamiers seine Schatten voraus geworfen hatte. Der ach so gesprächsbereite Domingo wurde zum Vater der Inquisition und Tausende Opfer gehen auf sein Konto. Hunderttausende wohl nicht, denn die Zahl der Katharer war stets klein und unter den Credentes hauste die Inquisition zwar mit Folter und Zwang, aber nicht so sehr mit dem Scheiterhaufen. Am Ende fiel auch die stark befestigte Montségur, der „sichere Berg“ in die Hände der Christen und 200 Katharer warfen sich in die Flammen weil sie das Leben, das sie führen sollten, nicht führen konnten. Esclarmonde hat diese Götterdämmerung nicht mehr erlebt. Im Jahre 1215 ist sie wahrscheinlich verstorben und in jene Räume eingegangen, in denen sie sich bereits bestens zuhause fühlte. Im Volk blieb ihr Name lebendig als der einer großen Frau des Mittelalters, die auf ihrem Platz allen Männern ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen war. Noch die längst Verstorbene sieht man über dem zerstörten Montségur schweben, wo sie das Heiligtum der Katharer birgt – die wenigen Blätter, die das Geheimnis der Wiedergeburt und Göttlichkeit enthalten.

 

Die verwehten Spuren

Als Spätere in entfernten Zeiten versuchen, Katharer zu spielen, nehmen sie Esclarmonde in den Zirkel ihrer Heiligen auf, denn sie sind keine Katharer, sie spielen es nur. Es richtet ihr Selbstbewusstsein auf, das immer wieder zertreten wird, erst von der Kirche, dann vom vierzehnten Ludwig, aber auch immer wieder aufgerichtet, erst von den Reformatoren, dann von den protestantischen Widerständlern, zuletzt mit allerlei Märchen vermischt, von den modernen Esoterikern. Aber Esclarmonde war keine Heilige und wollte auch nie eine sein. Sie war Katharerin, Schulleiterin, Mutter und Großmutter, Philosophin, Seelsorgerin, aber keine Heilige irgendeines Kalenders. Ihre Spuren sind bis auf das Wissen von ihrer Existenz verweht, keine Zeile kündet, was sie dachte, es wird dem entsprochen haben, was die okzitanischen Katharer seit jener dachten, sie war kein Reformer, sondern nur eine selbstbewusste Frau in einer Zeit, in der Selbstbewusstsein nur sehr beschränkt als Tugend galt und von einer Frau Anderes erwartet wurde, wie die wahrlich gottbegnadete Antwort des Mönchs von Pamiers uns kündet. Der Platz einer Frau ist am Spinnrocken… nun, sicher konnte Esclarmonde auch spinnen, aber sie konnte eben mehr als nur das. Mehr noch – sie war damit, mit diesem Mehr in ihrer Gesellschaft keineswegs die Einzige, sie ist nur eine von wenigen, deren Namen wir kennen, denn sie war eben eine Foix. Durch sie ist auch der Name ihrer Schwägerin Philippa erhalten, auch einer Vollkommenen, auf die aber das Licht der Geschichte nicht weiter fällt, durch sie wissen wir etwas von ihrer Namensvetterin, der jüngeren Esclarmonde, deren Leben im Zusammenhang steht mit dem Fall von Montségur. In den Akten der Inquisition finden sich weitere Namen, meist sind es die Namen von Credentes und ihren Frauen, nur wenige katharische Frauen werden erwähnt und über die Namen selbst kommen die Akten oft nicht hinaus. Denn die Katharer waren, im Gegensatz zu den Credentes, schweigsam. Sie waren ohnehin des Todes, was also ging ihre Henker das Geheimnis ewigen Lebens an? Aber das Wort vom Spinnrocken beleuchtet die Situation ausführlich. Denn da ist eine, die nicht an ihren Spinnrocken geht, sondern in einer Konferenz mit den Gegnern ihrer Lebensphilosophie sitzt und von ihnen argumentativ nicht überwunden werden kann, weshalb sie wie eine Magd an den Spinnrocken geschickt wird, woraufhin, wir hörten es, alle Katharer die Konferenz abbrechen. Die meisten von ihnen sollten sich retten – auf verschwiegenen Pfaden und öffentlichen Straßen machten sie in den nächsten Jahren die Reise durch das Veltlin in die Lombardei und weiter hinein ins nördliche und östliche Alpenland, sowie endlich ins Alpenvorland, wo sie im Gebiet der Moldau für Jahrhunderte eine neue Heimat fanden. Sie gaben ihre Lebensweise weiter und errichteten feste und gut organisierte Siedlungsverbände und der kämpferische Geist der Byzantiner wanderte mit ihnen und wandelte sich  im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert in eine in ganz Mitteleuropa gefürchtete „Vorwärtsverteidigung“. Man nannte sie später Hussiten, womit ihre Herkunft aber eher verschleiert als erklärt wird, denn mit dem in Konstanz verbrannten christlichen Häretiker Jan Hus haben sie nur sehr mittelbar zu tun. Als „Hussiten“ waren sie aber in die böhmische Ständegesellschaft voll integriert, Kaiser, Könige und Bürger bedienten sich ihrer zur Wahrnehmung ihrer jeweiligen Interessen und ihre Lieder singen wir zum Teil heute noch aus den Gesangbüchern aller christlichen Konfessionen. Aus diesen Liedern geht ihr originaler Text übrigens nicht hervor, da sie sämtlich christlich überarbeitet worden sind. Teilweise wurden diesen Liedern auch ganz und gar neue Texte unterlegt und die Melodien dazu passend rhythmisch verändert. Nur die Herkunftsbezeichnungen verweisen noch auf ihre Entstehung. Eine Parallele zu der genannten Integration gibt es übrigens in der Integration der kleinasiatischen Paulikianer in die Herrschaftsstrukturen des byzantinischen Reiches.

Das alles hat Esclarmonde nicht mehr erlebt, aber all das hat sie am Horizont aufdämmern sehen, ehe sie starb. Dass sie im Gedächtnis der Welt aber, und sei es als bloßer Name, fortdauern sollte, hat sie sicher weder gesehen, noch hat sie es gewollt. Was sie wollte? Sie wollte ihre Aufgabe so gut erfüllen, wie es ihr möglich war und darin trifft sie sich mit allen Katharern ihrer und aller Zeiten. Das neunzehnte Jahrhundert hat dann aus ihr jene Heilige eines im Wesentlichen nationalistisch orientierten Neu – Katharismus gemacht, der mit der Bewegung des Mittelalters so gut wie nichts als den Namen und einige Begriffe als Ritualismen gemein hat. Die „modernen“ katharischen Kirchen, dem neunzehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung entstammend,  kennen keine wahrhaften Eingeweihten mehr, ihr Consolamentum ist bloßer Ritus. Wie dieser aber bloßer Ritus einer Nebenkirche ist, so ist auch Esclarmonde nicht als Person, sondern nur noch als „Eidolon“, als reines Bild,  eine Heilige dieser Kirche, es könnte auch jede andere weibliche Person statt ihrer sein. Etwas Anderes ergibt sich, wenn wir die Kirchengeschichte des französischen Südens ansehen. Anders als der weithin katholische Norden hat hier der von Deutschland kommende Protestantismus seine reichste Entfaltung gefunden, weil er in manchen Aspekten dem bogomilischen, also byzantinischen Katharertum ähnlich sah. Die alte, okzitanische Lehre aber ging auch im Süden Frankreichs ganz und gar verloren.


[1] hier wird sich Widerspruch erheben… aber sollten die Katharer ausgerechnet bei der Brotbrechung, die mit Brot und Wein begangen wurde, dasitzen und verzichten?

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