18.11.2012

Die Heilige Kümmernis oder: die Manichäer im europäischen Mittelalter

Inhalt

Ein rätselhaftes Bild. 1

Die Ketzer nach den Ketzern. 1

Wie Mani nach Oebisfelde kam.. 2

 

 

Ein rätselhaftes Bild

An nicht wenigen Kirchen quer durch den europäischen Kontinent, darunter an so berühmten wie dem Dom von Mainz,  ist, entweder als Relief oder auch als Wandmalerei folgendes Sujet zu betrachten: ein Mensch mit bärtigem Gesicht und in einem langen Gewand hängt an einem Kreuz. Manchmal ist dem Gekreuzigten  noch eine weitere Person oder ein Tier beigegeben, manchmal aber auch nicht.  Jedenfalls ist klar, dass es sich bei diesem Gekreuzigten nicht um ein Bild des biblischen Jesus Christus handelt und dies war der europäischen Bevölkerung auch von allem Anfang an klar, denn die Sagen, die sich um diese Darstellungen ranken, haben mit der christlichen Kreuzigung nichts gemein. Dennoch wird von der  modernen Forschung angenommen, dass diese Bilder etwas mit den alten romanischen Darstellungen des bekleideten Christ – Königs am Kreuz zu tun hätten, wie wir ihnen vor allem auf alten Triumphkreuzen begegnen. Man erlaube mir indessen, diese Meinung nicht zu teilen, denn gerade Christus und seine Kreuzigung spielen  hier nur sehr indirekt eine Rolle. Das ist schon daran zu erkennen, dass diese Darstellung generell als weiblich bezeichnet, aber durchweg vollbärtig dargestellt wird.

Ich meine nun, man könnte dem Rätselraten der Mythenforscher recht schnell ein Ende bereiten, wenn man zwecks Deutung des Geschehens jene Legende aufnimmt, die vom Tod des persischen Mani berichtet. Aber das eine Loch, das wir damit schließen, reißt viele neue Fragen auf und am wichtigsten ist diese: wie kommt ein persischer Religionsstifter Jahrhunderte nach seinem übrigens wohl nicht gewaltsamen Tod an die Wand einer mitteleuropäischen Kirche, denn die meisten Darstellungen finden sich in Mitteleuropa.

Die Ketzer nach den Ketzern

Graben wir einmal etwas tiefer nach, wir müssen gar nicht in unauslotbare Tiefen gehen. Wir müssen lediglich einen Blick auf die geistige Landschaft des hohen und vor allem des ausgehenden Mittelalters werfen. Gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts verschwand die Bewegung der Katharer aus dem Blick der Geschichte. Zugleich nahmen die „Sektengründungen“ erheblich zu und diese Bewegung hielt, immer wieder durch die offizielle Kirche nur ungenügend aufgehalten, durch das ganze ausgehende Mittelalter an. Auch bereits bestehende Gruppen wurden plötzlich „infiziert“, so die europäischen Beginen und Begarden, aber es bildeten sich auch ganz neue Zirkel von „Geistgläubigen“ als deren letzte Ausläufer wir wohl die Schwärmer von Zwickau zu betrachten haben, mit denen ein Thomas Müntzer zusammentraf und von denen er eine ganze Reihe von Impulsen empfing, vor allem was die praktische Gemeindebildung anbelangt.

Offiziell gaben sich die meisten dieser „Geheimsekten“ als gut christliche Bruder- und Schwesternschaften, die Gebet und Fasten und Wohltätigkeit übten, gute Schulen unterhielten und sich um die Kranken- und Altenpflege verdient machten. Besonders gut ist diese Entwicklung an einem ehemaligen Hof in Frankfurt am Main zu studieren, der Gutleuthof hieß – nur ein ganz und gar unwissender Mensch wird bei einem solchen Namen nicht stutzen – und der sich just in dieser Zeit zu einem vielbesuchten Hospital entwickelte, so gut christlich, dass man es nicht einmal für nötig hielt, den verräterischen Namen zu verändern. Dann haben wir da auch noch die Brüder vom gemeinsamen Leben, auf deren Schule noch der junge Luther ein wichtiges Jahr seines Lebens verlebte und deren „Christlichkeit“ genau so wenig zur Diskussion stand, wir ihre pädagogisch geradezu modern ausgerichtete Unterrichtsweise. Natürlich gab es daneben auch die ausgewiesenen Häretiker wie die durch Hieronymus Bosch und sein Werk bekannt gewordenen Adamiten oder die Brüder und Schwestern vom Freien Geist[1], die kein Hehl aus ihre Oppositionshaltung gegen Kirche und Christentum machten. Wir  müssen dabei freilich bedenken, dass nur die Spitzen des Eisberges im Gedächtnis geblieben sind – unzählige dieser neuen Sekten und Zirkel sind in der Anonymität entstanden und wieder vergangen und nicht immer musste die Kirche einschreiten – viele erledigten sich auch durch einen rigorosen Asketismus von selbst: sie erloschen.

Wie Mani nach Oebisfelde kam

Dieser Asketismus aber führt uns auf eine andere, nicht weniger interessante Spur: nämlich zurück auf die Tatsache, dass die katharische Bewegung am Ende des zwölften und bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, also bis zu dem Tag, als sie offiziell zu existieren aufhörten, gespalten war. Der alte, genuin europäische Zweig, der seit den Tagen des Irenäus von Lyon greifbar ist, war so wenig fanatisch und laut, dass er tausend Jahre neben der offiziellen Kirche bestehen und von dieser geduldet werden konnte. Im zwölften Jahrhundert kommen aber mit flüchtigen byzantinischen Ketzern neue Impulse in die Bewegung und leider finden diese Impulse weithin Zuspruch, eben weil sie laut und vernehmlich und provokant sind. In Byzanz hatten sie ihre Bewegung durch ihr Geschrei und durch Gewalt zugrunde gerichtet: unbelehrt und unbelehrbar fuhren sie nun mit ihrem fanatischen Vernichtungswerk fort und provozierten in ihrem Asyl die Kirche wo immer sie konnten. Schlimmer noch – den besonneneren Katharern fehlte die Kraft, sich gegen diese wildgewordenen Hassprediger durchzusetzen. Früher hatten sie einen Peter von Bruis[2] oder einen Prediger Heinrich noch von sich abhalten können, aber damit war es nun, da sie von dergleichen quasi überflutet wurden, vorbei. Sie konnten nicht mehr verhindern, dass die Kirche einschritt und die nun wieder verstand nicht, dass die Katharer selbst in Teilen diese Entwicklung nicht billigten – ihr galt alles gleich und im Grunde war sie froh, endlich eine Handhabe gegen diese Bewegung zu besitzen, die ihr immer schon ein Dorn im Fleisch gewesen war. So kam es dann zu dem  bekannten bewaffneten Eingreifen, aber dieses soll hier nicht zum beherrschenden Thema werden, wenn es auch nicht ganz ausgeblendet werden kann.

Auch im Untergrund aber setzte, wie man sehen kann, wenn man sehen will, die Spaltung sich fort: es gab den mehr philosophisch orientierten Untergrund in dem die alte Bewegung des Westens sich fortsetzte und es gab wie schon erwähnt, eine Menge an rigoros asketischen, dabei fanatisch antikirchlichen, die Ordnungen der mittelalterlichen Welt verachtenden und bekämpfenden – und auch miteinander konkurrierenden – Gruppen und Grüppchen die wie ein in Gärung befindlicher Teig als Blasen aufstiegen und wieder zerplatzten. Und in dieser rigorosen Bewegung wird die Erinnerung an den Religionsstifter Mani und sein Schicksal lebendig gewesen sein, während er auf die „westlich gemäßigten“ Ketzer keinerlei Einfluss ausübte. So wurde aus Schapur, dem königlichen Gegenspieler des historischen Mani bald der tyrannische König, der sein Kind ans Kreuz nageln lässt und aus dem Mann Mani wird die Königstochter, der ein Bart wächst. So gewann man einen Mythos, der sich öffentlich darstellen ließ und wieder wurde eine alte Tradition bedient: denn in den Kirchen und an den Kirchen hatten auch die „Gnostiker“ der alten Zeit ihre Anwesenheitssignale hinterlassen. Was damals nun das „Anch“ bedeutete, das bedeutete nun für diese Fraktion die Darstellung der „Kümmernis“ meist an den Außenwänden der Gotteshäuser. Eine Kümmernis befindet sich auch, allerdings stark verwittert und zudem verfremdet[3],  an der Katharinenkirche zu Oebisfelde in Mecklenburg und signalisiert damit, dass sich im vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert bogomilische Gruppen an diesem Ort aufgehalten haben, was nicht unbedingt mit „katharischen“ gleich zu setzen ist. Diese lassen sich sogar in Skandinavien und  möglicherweise auch in Chorin im nördlichen Brandenburg und mitten unter den Zisterziensern mit Hilfe des Anch nachweisen, die Verbreitung nach Norden hin ist also nicht ungewöhnlich und dass wo die einen sind[4], die andern nicht weit sein werden, ist ohne weiteres eingängig, denn nach der Katastrophe war man nicht gerade friedlich aufeinander zu sprechen wie das Verhältnis der „Lombarden“ zu den flüchtigen französischen Katharern zeigt[5].

Und so kam also Mani in den Norden Deutschlands. Ich denke, man braucht sich aufgrund dessen, was man an Hintergründen wissen kann, nicht mehr darüber zu wundern. Nicht  einmal die bärtige Jungfrau ist übrigens eine Erfindung der Bogomilen – der Typus greift zurück auf eine damals im Schwange gehende andalusische Sage aus der Zeit der Reconquista und zwar handelt sie von einer maurischen Königstochter, die Christin wird. Auf ihre Bitte verunstaltet Gott sie entsprechend, was ihren Vater veranlasst, sie zu töten. In der Sage werden die Umstände ihres Todes dann allerdings zum Anlass dafür, dass der Sultan selber Christ wird. Die Sage ist in verschiedenen Versionen überliefert. Das Mädchen hätten wir – was aber ist mit dem Mann, der das Mädchen oft – nicht immer – begleitet? Wo er dargestellt wird, ist es meist ein Musikant, der spielend zu Füßen der Gekreuzigten kniet – ein Hinweis auf die hohe Geltung, welche die Musik bei den Manichäern besaß, die sie als quasi göttliche Kunst verehrten und pflegten, sie als dem Wort überlegen betrachteten? Was ist mit dem Tier, meist einem Hirschen, der sich ebenfalls auf manchen Darstellungen finden lässt? Nun, gewiss ist es keine Anspielung auf den heiligen Hubertus… aber sehr wohl eine auf den bekannten Vegetarismus der Manichäer der ihnen entsprechend die Tiere zu Freunden macht und diese Tiere sind es, die um Mani trauern. Auf einer Darstellung ist sogar ein Hinweis auf die Auferstehung Manis gegeben, indem ein leeres Ostergrab zu Füßen der Kümmernis erscheint – auch Mani betrachtete man als Auferstandenen – hier sind die Parallelen zu Christus offensichtlich und sollten es auch sein, denn Mani erscheint in der Mythologie seiner östlichen Anhänger als der neue Christus. Dass bei den Bogomilen manichäisches Gedankengut sehr viel weiter verbreitet war als im Westen, ist an vielen Details festzumachen: sie betrieben Ackerbau, aber kaum Viehzucht, sie vermittelten zwischen Produzenten und Konsumenten als Großhändler, betätigten sich aber nicht als weltliche Lehrer oder Ärzte wie ihre westlichen „Kollegen“[6]; sie verdammten die Ehe noch entschiedener als ihre westlichen Genossen, die eheliches Leben lediglich als Hindernis für die Mobilität der Bonshommes und als Ablenkung für die Frauen betrachteten, aber ansonsten nicht verdammten, während für Manichäer der Fortpflanzungsakt als solcher ein Werk der Dämonen war. Diese Haltung resultiert aus einer zu Manis Zeit im Osten weit verbreiteten spätgnostischen Schule[7], die in der Tradition eines „teuflischen“ Weltschöpfers stand, der nur mit scharfer Askese überwunden werden konnte. Im Westen war ein derartiger Weltpessimismus unbekannt, hier galt die Welt vielmehr als beachtenswertes Abbild, das nur keinen eigenen Wert darstellte, sondern seinen Wert von der geistigen Welt her erhielt und von dem man sich innerlich nicht abhängig machen sollte, auch wenn man in der Zeit des Menschenlebens auf sie angewiesen blieb.

In den ländlichen Gebieten Mitteldeutschlands allerdings mögen solch asketische Lehren auf fruchtbaren  Boden gefallen sein, werteten sie doch die allgegenwärtige Dürftigkeit zu einem Beweis „gottgewollten“ Lebens auf, indem sie die scheinbare Fülle des Reichtums für einen Makel erklärten. Das wiederum hob das Selbstbewusstsein der ländlichen Bevölkerung bedeutend ohne dass es in die Sozialstrukturen hätte eingreifen müssen. Der Reiche war eben verworfen, sein Reichtum selbst zeugte von seiner Verworfenheit, ein weiteres Handeln war nicht erforderlich, da das Leben der Niedrigen und Armen den für die Erlösung notwendigen Vorgaben bereits entsprach. So findet man erwähnte Kümmernis[8] auch nicht an der Kirche der reichen Bürger, sondern an der der ärmeren Stadtbevölkerung. Aber dies war keineswegs die Regel, denn in Saalfeld ziert die Kümmernis die Stadtkirche St. Johannis und was ist mit dem Mainzer Dom, das war doch beileibe keine Armenkirche? Aber in Saalfeld gab es keine andere Möglichkeit, und der Mainzer Dom  garantierte überregionale Beachtung. Leider sind die Nachrichten über Bildnisse der „Kümmernis“ in Deutschland und Europa äußerst selten, ich selbst gelangte nur durch Zufall an die Darstellungen in Saalfeld es existiert kein Hinweis auf dieselbe[9], außer im Sagenrepertoire von Bechstein, der die Heilige Kümmernis allerdings in einer Saalfelder Brückenkapelle verortet haben will wo sie sich niemals befunden hat.

Also: am Ende des Mittelalters war die geistige Lage keineswegs so einheitlich christlich, wie es manche Kirchenhistoriker gern gehabt hätten. Es gab vielmehr überall in Städten und Dörfern, Heterodoxie in allen nur möglichen Schattierungen – das späte Mittelalter ist die hohe Zeit der Mystik und diese hat bekanntlich den Kampf mit bestehenden Dogmen schon in der Tasche, sie ist ja auch nur entstanden, weil die Dogmen einem lebendigen Glauben nicht genügten. Sie entstand, weil der Glaube am Glauben selbst keinen Halt finden konnte und daher das religiöse Erlebnis suchte  – und auch fand. In dieser reichlich undurchsichtigen geistigen Landschaft haben unter anderem auch sowohl die  spätgnostischen Manichäer als auch die sich direkt auf die Lehre Jesu beziehenden echten Gnostiker ihre jeweilige Arbeit fortgesetzt und ihre Gegenwart wird beurkundet durch jeweils genau fassbare Darstellungen, entweder der Kreuzigung Manis oder des Anch respektive des einen Fisches. Für das orthodoxe Kirchenvolk wurden Mythen und Märchen erfunden, die es den Häretikern erlaubten, ihre Malzeichen zumindest an der Außenseite der Kirchen anzubringen, wenn nicht gar in deren Innerem. Dabei ging das Verwirrspiel so weit, dass zuletzt die „heilige Kümmernis“ sogar einen Platz im römischen Martyrologium und damit auf den Altären fand. Man stelle sich das vor: das Bild eines gekreuzigten Mani, vor dem ein christlicher Priester die Messe liest. Nun, inzwischen hat man diesen Irrtum wohl eingesehen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass man der Sache auch auf den Grund gekommen wäre – und im Bereich der Volksreligion mag die „Heilige Hilfe“ immer noch eine gewisse Bedeutung haben. Immerhin wurden zwar die Altäre abgeschafft, aber die Bildnisse der „Heiligen Kümmernis“ wurden sonst nirgendwo auch nur übermalt.

Und so kam Mani nicht nur nach Oebisfelde  – Weferlingen, sondern er kam nach Bayern, nach Thüringen und an viele andere Orte, auch im Norden Italiens existieren eine Reihe solcher Bilder. Kunststück, wenn man bedenkt, dass dort der Anteil der bogomilischen Häresie wahrscheinlich am stärksten[10] war. Dass solche Bildnisse auch in Spanien existiert haben, davon gibt die Sage von der um ihres Glaubens willen gemarterten Königstochter Zeugnis[11]. In Südfrankreich allerdings ist das Sujet unbekannt. Dort dominieren vielmehr Hinweise auf die „ruach“ den – weiblich gedachten – Geist, in dem einige den Geist Gottes sehen wollten, indes ist damit sehr viel mehr gemeint, nämlich die initiale Energie schlechthin. Damit dominierte hier eine ältere Tradition der Gnosis, die vom Manichäismus unberührt geblieben war und sich unmittelbar auf die erste und zweite Generation der Schüler Jesu zurückführen lässt[12]. Dieser Umstand belegt nun wiederum die Vermutung, dass es sich bei den im zwölften Jahrhundert aufflammenden Streitigkeiten zwischen römischer Kirche und „Katharern“ um eine Folge der bogomilischen Infiltration[13] gehandelt hat, die um diese Zeit ihren Höhepunkt erreichte. Indem unter diesen Vorzeichen die manichäisch geprägte letzte Epoche des französischen Katharertums in der Katastrophe endete, verbreiteten sich seine Reste über ganz Mitteleuropa und dokumentierten mit ihrer Verbreitung, dass der Manichäismus in Südfrankreich angekommen und damit auch gleich zum Totengräber der katharischen Bewegung geworden war, wie zuvor bereits in Byzanz geschehen, von wo sie ihrer Aggressivität wegen vertrieben worden waren.

Inwieweit der Manichäismus in Mitteleuropa dann den Charakter einer eigenständigen Religion annahm, muss ungeklärt bleiben – wahrscheinlich gelangte er niemals über eine bescheidene Rolle als „Religion der Armen“ hinaus und war entsprechend wenig literarisiert – ganz im Gegensatz zum originalen Manichäismus, für den die Literarisierung genuiner Bestandteil gewesen war und der auf einen reichen Schatz an Büchern zurückgreifen konnte. Hier reichte es allenfalls noch für einige „Devotionalien“ mit Signalcharakter, die man an Kirchenwänden unterbringen konnte, sowie für die „Heiligsprechung“ des bedürfnislosen Lebens, das die Armen ohnehin zu führen gezwungen waren, das aber nun nichts Bedrückendes mehr, sondern im Gegenteil, ein Heilsversprechen für sie beinhaltete. Ein Moment dessen mag auch die Hochachtung des Leidens gewesen sein, das als Ausweis dafür galt, dass ein Mensch die Welt der Dämonen verlassen wollte und zur Strafe von ihnen attackiert wurde. Für einen solchen Heilsweg waren dann vor allem die Armen prädestiniert und da sie stets die Mehrheit stellten, war der Einfluss, den die neumanichäischen Kreise auf sie hatten, sicher nicht klein, allerdings – dieser Einfluss erzeugte keine revolutionären Stimmungen, denn ein Interesse, das drückende Los der Bauern, Tagelöhner und unzünftigen Bürger zu bessern gab es von Seiten des Manichäismus ja nicht. Damit ist aber auch die Option, dass häretische Kreise an den zunehmenden Bauernunruhen beteiligt gewesen wären, zumindest für die manichäisch beeinflussten unter ihnen abzulehnen. Aber eines bleibt: das späte Mittelalter, die Zeit von der zweiten Hälfte des dreizehnten bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ist eine Zeit, in der Orthodoxie und Heterodoxie sich zuweilen Schulter an Schulter um die Gläubigen bemühten und die Heterodoxie sich kaum irgendwo ernsthaftem Widerstand gegenüber sah. Die Zeit der wüsten Verfolgungen war vorüber – im späten Mittelalter wurden Hexen verfolgt, aber keine Ketzerprediger. Denn es gab so viele und verschiedene, dass niemand ihrer mehr Herr werden konnte. So wird man durch die Finger gesehen und die krausen Heiligenlegenden  großmütig bestätigt haben, zumal die Neumanichäer nirgendwo mehr unangenehm auffielen – auch dies im Gegensatz zu ihrer einstmaligen bogomilischen Prägung, aber die hatte sich wohl im Lauf der Jahrhunderte endgültig abgeschliffen. Mit der Katastrophe der heterodoxen Strömungen in Reformation und Gegenreformation verschwanden die Bekenner der Untergrundreligion und wurden Teil der reformierten respektive volkskatholischen Gemeinden. Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, vielleicht sogar früher, verstand niemand mehr den wahren Sinn der Bilder  und so ist es geblieben, so kann man es noch heutigentags auch in renommierten Nachschlagewerken lesen. Man verzeihe der Unwissenheit der Autoren – denn man muss schon zweitausend Jahre Kirchengeschichte in Frage stellen können, um der Sache auf den Grund zu kommen und wenigstens eine Ahnung von dem zu  bekommen, wie die hohe Zeit der Christlichkeit in Wahrheit beschaffen war – alles wird man wohl nie mehr erfahren.

Berlin im November 2012

Juliane Bobrowski (alle Rechte beim Autor)


[1] „Luziferer“ allerdings hat es nie gegeben, die hat Konrad von Marburg erfunden…

[2] man duldete sie zwar zunächst, nötigte sie aber bald, weiter zu ziehen; eine Bleibe fanden sie dann im Süden Böhmens wo sie sich allmählich zu „Hussiten“ mauserten. Als solche greifen sie dann wiederum in die Geschichte des Mittelalters ein.

[3] Man muss schon sehr genau hinsehen um zu bemerken, dass der angebliche Jesus bekleidet ist…. die Figuren, die den Gekreuzigten umstehen, könnten ebenso gut auch in jede orthodoxe Darstellung passen.

[4] allerdings könnte es sich in Chorin auch um Sinnbilder der Dreieinigkeit handeln, wie sie im Zisterzienserkloster von Altenberg im Rheinland den Chor beherrschen…. gemeint ist hier das dreifache Blatt auf nacktem Stiel.

[5] man duldete sie in der Lombardei, wo die bogomilische Infiltration bereits älteren Datums war,  zwar erst, nötigte sie aber bald, weiter zu ziehen. Sie fanden dann eine Bleibe im Süden Böhmens, wo sie sich zu Hussiten mauserten um als solche wiederum in die Geschichte des Mittelalters einzugreifen.

[6] Grund hierfür kann sein, dass sie sich mit den „Dingen der Welt“ möglichst wenig gemein machen wollten. Für den Vertrieb „rite“ angebauter Ackerfrucht zu sorgen, mag ihnen aber als möglich erschienen sein.

[7] Man nennt diese mythenbildenden Traditionen auch „gesunkene Gnosis“. Teile dieser späten Mythologie waren sowohl manichäische als auch bogomilische Lehre. Im Westen hat diese Lehre indessen nie Boden gewinnen können.

[8] die sich in diesem speziellen Fall sehr bewusst als Kreuzigungsbild gibt, nur wäre zu bedenken, was ein solches an der Turmwand einer Kirche zu suchen hätte.

[9] Hier nicht zu verwechseln mit dem berühmten Heringsmännchen, das im Übrigen ein weiterer Zeuge für eine urjesuanische Häresie ist – der eine Fisch ist wo immer er auftaucht, als Anspielung auf die Aussage des Thomasevangeliums zu verstehen. Hier haben also beide Fraktionen der ehemaligen Katharer ihre Marken hinterlassen.

[10] nachdem er im byzantinischen Machtbereich nahezu ausgerottet worden war. Allerdings bestanden in Kleinasien Rückzugsgebiete der Bogomilen fort, die sich im Übrigen ebenfalls, wie die Hussiten, mit der Zeit militarisierten.

[11] Der Zusammenhang mit dem Islam ist wohl nur eine zeitbedingte Kostümierung eines viel älteren Stoffes. Dass es im römischen Spanien Manichäer gab, ist nachgewiesen und unbestritten. Wie viele davon allerdings die Westgotenzeit überlebten, ist nicht bekannt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang aber an das Grab des Priscillian, das sich in der Kathedrale von Santiago de Compostela befindet. Er war einer der Protagonisten des – westlichen – Manichäismus.

[12] Die Idee der Trinität ist der Lehre Jesu von Anbeginn an eigentümlich, allerdings war sie als Trias analog zu anderen antiken Vorstellungen gedacht.

[13] Vordem hatten sich Kirche und Katharer zwar permanent in Diskussion miteinander befunden, aber dieselbe hat niemals auch nur annähernd den aggressiven Charakter angenommen, den sie im zwölften Jahrhundert bekommt und der die Kirche zum gewaltsamen Eingreifen mehr nötigt als verlockt. Im gleichen Maße wie die Gewalt dominierte, hörte natürlich die Diskussion auf, ein Umstand, der besonders Domenico Guzman Unbehagen bereitete, denn vordem als man noch aufeinander hörte, hatte man sich doch immer irgendwie einigen können – und nun nicht mehr? Nun – auch der Heilige Dominikus wusste nichts von den inzwischen stattgehabten Veränderungen im katharischen Profil.

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