12.10.2012

Die Fehler der Gnosis II

 

„Wer seinen Vater und seine Mutter nicht hasst, wie ich….“ sagt Jesus und meint damit nicht irgendeine, sondern eine grundlegende Bedingung, seiner Philosophie folgen zu können.

Generationen und Geschlechter haben sich seither mit mehr oder weniger Aplomb an diesem Wort gestoßen. Generationen von Katharern haben sich dieses Wortes wegen von ihren Familien gelöst. Gnostische Lehrer wurden deshalb beschuldigt, soziale Zersetzung zu predigen, Sekten übernahmen dies Modell und schufen daraus den Wahnsinn des total instrumentalisierten Gläubigen, mit dem wir uns bis heute plagen. Gnostische Apologeten haben weitschweifige Erklärungen gegeben und warum das alles: weil Jesus selbst ein problematisches Verhältnis nicht nur zu seinem Elternhaus, sondern zu seiner ganzen Klasse hatte. Er wollte der Prinz nicht sein, der er war, das wird auch an anderen Stellen seiner  Lehre deutlich, wenn er sich etwa selbst ironisiert… „warum seid ihr hinausgekommen? Wolltet ihr ein Schilfrohr sehen, das sich im Winde wiegt? Oder wolltet ihr einen Reichen in weichen Kleidern sehen….“ womit er ohne allen Zweifel sich selber meint, denn er ist der Reiche, der nicht reich sein will. Wir kennen solche Protest- und Trotzallüren auch von jungen Intellektuellen besonders des vorigen Jahrhunderts, von Brecht und Becher und Wedekind und wohl auch dem jungen Heinrich Mann – durchweg sind es kreative Menschen, nun, auch Jesus war einer von ihnen.

Aber allein auf diesem Hintergrund ist der obige Satz zu verstehen. Anders verstanden würde er nämlich bedeuten, dass Jesus seine eigene Lehre nicht verstanden hat. Er hätte dann nicht verstanden, dass ihm in jedem Menschen, auch in den Eltern, das Ebenbild des Vaters begegnet und dass es nicht um Biologie dabei geht, sondern um das Miteinander der Geisteswesen, von dem Jesus doch sagt: „wenn ihr euresgleichen seht, freut ihr euch…“nun, auch hier ist „seinesgleichen“ – und nun? Jetzt ist dies auf einmal nicht mehr opportun?

Andererseits spricht gerade diese sichtliche Unüberlegtheit für die Authentizität des Lehrers Jesus, wie er im Thomasevangelium begegnet und für die unbedingte Hochachtung, die spätere Generationen ihm auch dann zollten, wenn seine Lehren durchaus anfragbar erscheinen mochten. Niemand hat es gewagt, hier zu glätten oder gar zu streichen. Die Lehre Jesu steht so da, wie sie einst aus seinem Munde gekommen ist – gute Gewähr für die Echtheit der anderen Jesusworte, wenn selbst die vergleichsweise schwachen und ganz und gar situationsbedingten mit solche Treue überliefert werden.

Wieder andererseits ist ein solcher Jesus dann als gottähnliches Geistwesen wohl nicht mehr zu etablieren…wiederum  andererseits passte gerade dieses Wort ins Konzept eines radikalen Thoraopponenten, nämlich als Gegenstrophe zum vierten Gebot, dass man seine Eltern ehren solle… damit es einem wohl gehe  auf Erden. Nun, gerade mit dem, was dieses Wohlgehen hier meint, hat Jesus, hat die Erkenntnis Schwierigkeiten, es sind dieselben, die der Buddha hat, wenn er von Anhaftungen spricht. Aber soll man nun das Kind gleich mit dem Bade ausschütten, nur weil irgendwer eine Anhaftung damit verbinden will? Soll man die Materie im Verhältnis zum Geist so hoch bewerten, dass man ihr eine Vertrautheit der Geister wie sie zwischen Eltern und Kindern besteht, zum Opfer bringen sollte?

Dies war wohl kaum die Absicht Jesu, aber wie auch immer, die Erkenntnis krankt seither daran, dass man sie als Feind sozialer Bindungen ausmacht; sie bekommt auf diese Art und Weise auch Beifall von der falschen Seite; alle Hagestolzen und Bindungsunfähigen meinen, hier gut aufgehoben zu sein. Aber die Liebe zum Nächsten wird in der Erkenntnis nicht beschworen, sie ist die Grundlage der Angelegenheit schlechthin, die keiner Erwähnung bedarf. Wer nicht lieben kann, dem ist auch nicht klar, was Erkenntnis will. Vielleicht hätte auch dies erwähnt werden sollen, aber wer konnte wissen, dass eines Tages ein Saulus kommt und die universale Liebe für sein Christentum reklamiert und dass sich dieser Saulus dann auch noch als Mainstream durchsetzt? Ein Gott hätt‘s wissen können; der Mensch Jesus wusste es nicht.  Und dies bewahrt uns für immer vor dem Verdacht, Anhänger einer Religion zu sein, denn: der unser Meister ist, er hat sich für alle  Zeit als Mensch unter Menschen offenbart. Nur….

da Einiges an seiner Lehre nun einmal der Konkretisierung bedürftig ist, ist es an uns, nachdem wir dieselbe verinnerlicht haben – und nur dann – zu  suchen und zu sehen, was wir noch für ihn tun können, damit man ihn besser verstehe. Seine Lehre umzuschreiben kommt nicht in Frage… aber vielleicht ist es auch möglich, mit ein paar kleinen Anmerkungen die Spalten, die sich da auftun wollen oder auch schon aufgetan haben, zu schließen… verdient hätte er es ohne Frage.

 

 

 

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