28.05.2015

Die Götter und das Böse

Wir sind uns, zumindest hier, einig, dass der Mensch es war, der die Götter nach seinem Bild erschuf und nicht etwa umgekehrt. Sie sind sozusagen der ins Unendliche hinein proji-zierte Spiegel dessen, was der Mensch von sich selber hielt und erkannte, was wiederum nicht dasselbe ist. Der Mensch nun erkannte in sich, dass er nicht als „lupenreines“ Wesen durch das Leben geht, sondern dass der Kompromiss jeweils die Richtschnur des Möglichen ist. Wird ihm entgegen gehandelt, so beginnt Ungerechtigkeit – kompromissloses Handeln kann immer nur ein Handeln zum Vorteil des Einen und zum Nachteil des Anderen sein. Ein Ausgleich der Interessen, also wahre Gerechtigkeit, ist hier nicht möglich.
Folgerichtig wurden die Götter der alten Religionen dann auch durchweg und global als ambivalente Wesen konstruiert, die konstruktive und destruktive Kräfte in etwa gleicher Stärke in sich vereinen. Man kann hin greifen, wohin man will: in jeder alten Religion fehlt immer ausgerechnet das Bild für „das Böse“ schlechthin, aber nie das Bild für „das Schreck-liche“. Von Grönland bis Feuerland und von den Küsten Europas bis zu denen Australiens wird man in den alten Religionen keinen Patron des Bösen finden, aber viele Götter, die neben ihrem lächelnden auch ein zorniges, ja mitunter sogar ein zynisches Gesicht – wie Loki bei den Germanen – besitzen. Aber diese alten Religionen haben durchweg keinen „Teufel“. Und sogar Loki ist nur eine Persiflage von Lug, dem keltischen Gott des Lichtes, was nun wieder die Stellung von Kelten und Germanen gegeneinander kennzeichnet. Denn die Kelten waren die eingesessenen Bewohner jener Gebiete, in welche die „Germanen“ als Einwanderer aus den südrussischen Steppen kamen, wo man ihre Siedlungen zerstört hatte. Aber auch die Kelten, verbreitet von den britischen Inseln bis in den Norden Kleinasiens, kannten kein personifiziertes mythisches Böses, so viele Götter sie sonst auch schufen. Auch die griechische, die römische, die etruskische Mythologie kennt keinen „bösen“ Gott, der sein Werk in allem zum Schaden der Menschen wirkt, sondern jeder beliebige Gott konnte ebenso segen- wie verderbenbringend wirken. Die ägyptische Mythologie kennt aber doch den Seth, wird man mir entgegnen – aber der Seth ist kein böser Gott, weshalb sich auch Könige zu ihm als ihrem Familiengott bekannten. Er ist der Gott der Wüste und ihrer Schrecken, darin der Bruder des fruchtbringenden Osiris, der das Leben aus der Erde erschafft und über die Toten regiert, die man natürlich lebend dachte, denn der Mensch jener Tage akzeptierte den Tod nicht, auch wenn er ihm täglich und in allem begegnete und zudem: der Tod war nicht böse, er war ein unausweichlicher Schritt und eröffnete eine neue Art des Lebens.. wenigstens für die Ägypter, die einen paradiesischen Zustand nicht kannten, allerdings auch keine „Hölle“, sondern nur ein Totenreich in dem alles so weiter ging, wie sie es kannten – nur eben zeitlos und unvergänglich. Im Gegensatz hierzu steht das Totenreich der Griechen, das mindestens drei Ebenen kennt: die allgemeine Totenwelt, den Hades, die Inseln der Seligen, eine Art Paradies und als eine Art Hölle den Tartaros, in dem die Titanen in Ewigkeit schmoren. Auch das Leben ging im Totenreich nicht einfach so weiter – denn die Toten im Hades waren nur Schatten mit einem stark geminderten Bewusstsein, während an den beiden anderen Orten das volle Bewusstsein erhalten blieb um den Lohn, respektive die Strafe auch zu empfinden. Außerdem gab es noch als eine Art Seitenweg, die Erhebung zu den Göttern, die aber nur ganz wenigen zuteilwurde und die Versetzung an die Sterne wo sie zwar ewig, aber nicht bewegungsfähig waren, sondern den Gesetzen des Kosmos gehorchen mussten, denen die Götter nicht unterworfen waren. Aber Hades, der Gott der Unterwelt, war kein Teufel, sondern er regierte die Toten wie ein irdischer Fürst mit Hilfe seiner sieben Weisen, einer Art Thronrat, und hier und da wohl auch mit dem Rat seine Frau Persephone, der Tochter der Flurgöttin Demeter, die er sich geraubt hatte. Er war erbarmungslos gerecht, aber ein böser Gott war er nicht, gebot nur über ein ganzes Arsenal schrecklicher Phänomene, die den Toten die obere Welt vom Leibe hielten, auf deren Opfer sie doch auch wieder angewiesen waren. Auch seine römische Entsprechung, Pluto, war kein böser Gott, wenn er auch ein Unterweltsgott war; er gebot nicht nur im Totenreich, sondern war auch Herr der unterirdischen Schätze – wobei er in harter Konkurrenz zu dem älteren Gott Satur-nus stand, der ebenfalls Anspruch auf diese erhob und von dem jüngeren Gott deshalb in Sklaverei gezwungen worden war – einmal im Jahr, an den Saturnalien, durfte er seine Frei-heit wieder erlangen und mit ihm die Sklaven als seine Schicksalsgenossen. Aber auch Sa-turn war kein „Böser Gott“, wenn er auch ein grimmiger Gott war, denn er war ein Gefange-ner. Im Prinzip konnte aber jeder Gott in jedem Teil der Welt auch zu einem bösen Gott ent-gleisen, wenn nämlich die Opfer ausblieben, die man ihm schuldete, denn das alte mytholo-gische System basierte weltweit auf dem magischen „do, ut des“.
So war es im Anfang auch mit Jahwe und die Bibel als eines der seltenen religiösen Unterla-gen (es gibt nicht viele davon in der Welt, weitaus weniger als Götter und ihre Religionen) und eben die Bibel gibt uns auch Auskunft darüber, wie zornig und „böse“ Jahwe werden konnte und vornehmlich gegen sein eigenes „auserwähltes“ Volk, das doch ihn allein anbe-ten sollte. Aber Jahwe sollte, zumindest für sein eigenes Volk, ein guter Gott sein und kein launischer Despot, darin sollte er sich auch in der Vorstellung der babylonischen Exilanten von anderen Göttern unterscheiden. Aber er war nun einmal nicht nur gut, hatte er nicht die Priester, seine Priester, ins babylonische Exil geschickt und Jerusalem, seine Stadt brand-schatzen lassen? Und das nur, weil die Israeliten nicht von den Babyloniern unterworfen sein wollten? Das war doch höchst ungerecht und bis hierher ist Jahwe so wie er von seinen Priestern erfunden wurde, noch ein ganz und gar traditioneller Gott der alten Welt, dessen vornehmliches Credo war: erfülle dem Höchsten deine Gelübde !
Die Lösung kam, als Babylon unter persische Herrschaft geriet, denn die Perser brachten ebenfalls eine moderne Religion mit, die des Ahura Mazda, noch heute die Religion der Par-sen. Diese Perser hatten parallel zum guten, einen bösen Gott, wohl den einzigen, den es damals weltweit gab, Ahriman, der alles Dunkle und Unberechenbare beherrschte und ei-gentlich auch nicht böse im Sinne von infam war, sondern eben nur seinen Bereich gegen Ahura Mazda hielt, der nur das Licht und nur die berechenbare Ordnung kannte, also ein vergleichsweise leichteres Leben hatte. Aber diese Konstruktion aufgrund derer die Perser einen rundum guten Gott bekommen hatten (und trug er sie nicht auch von Sieg zu Sieg?)half den israelitischen Priestern erst einmal aus der Klemme, aber stürzte sie auch so-fort in das nächste Dilemma: dann war ihr Jahwe doch kein einziger Gott mehr? Dann hatte er sozusagen sein dunkles Pendant neben sich? Und wieder halfen die Perser mit ihrer Konstruktion der Spenthas und Daevas aus, minderer himmlischer Wesen, Engel und Dä-monen, die man vordem in Israel so auch noch nicht gekannt hatte, man kannte nur Baalim und Beelot, Götter und Göttinnen wie sie die Babylonier und alle anderen auch kannten. Aber so kam alles ins Lot: Ahriman war ein gefallener Spentha, ein mächtiger Engel, der sich gegen Jahwe aufgelehnt hatte und darum in die Finsternis verbannt worden war, wo er über die Daevas, seine persönliche Dämonengefolgschaft, herrschte. Und seither, was soll ich sagen, sind wir mit Gedanken über „das Böse“ hinlänglich gestraft.
Dabei waren die Juden (die Religion des Jahwe nach Israel) gar nicht dumm, wenn sie im Umkehrschluss jedem Menschen „das Böse“ in Gestalt des bösen Triebes innewohnen ließen, in der Tat hat ja jeder Mensch in sich selbst die Freiheit, aufzubauen und zu zerstören, sich seinem Mitmenschen und seiner Umwelt gegenüber konstruktiv oder destruktiv zu verhalten. Diese Freiheit liegt aber in ihm selber und kommt ihm nicht von irgendwelchen überweltlichen Mächten her. Sie liegt ganz und gar in seiner eigenen Verantwortung und je besser er sich selbst kennt, umso besser kann er seine Antriebe beherrschen. Sie zu transzendieren macht, dass der Mensch immer eine Ausrede vor sich selbst hat und diese Ausrede zu haben ist äußerst kontraproduktiv. Es ist niemand vom „Bösen“ besessen und es hat auch, dies gegen auch die Maßgaben des Thomasevangeliums, einen „schlechten Schatz“ in sich, der Schatz, den er in sich trägt, also seine „göttliche“ Natur, ist weder dies, noch das. Sie ist genau das, nach dem die alten Götter erschaffen wurden. Wie seine Bilder kann der Mensch beides tun, deshalb sind ja seine Bilder, die Götter, so beschaffen. Es gibt kein „metaphysisches Böses“. Auch der beste Mensch tut, in die Enge getrieben, vielleicht etwas, das er unter normalen Umständen böse nennen würde und auch nennt. Man nennt ein solches Bekenntnis Reue. Sie kann laut sein, aber auch leise, in sich gekehrt, tätig, aber auch eine Last, die er nicht abwerfen kann und durch keine Tat mindern. Wenn er das nicht kann, ist er in Gefahr, dass er seine Selbstachtung verliert und so werden Massenmörder und Verbrecher aller Art geboren in solchen Augenblicken, denn als Missetäter geboren wird niemand. Aber jeder wird geboren durch die Umstände in die er gerät. Es hilft ihm da kein Gott – aber die Annahme, dass da ein Gott wäre, der ihm hilft, kann seine eigenen Widerstandskräfte stärken, dem destruktiven Trieb in sich selbst, den er in diesem Moment ja als hilfreich erlebt, zu widerstehen. Es gibt keine Sünde – aber der Gedanke an Sünde kann den Verzweifelnden zum Innehalten bringen, wenn er dann nämlich die „Sünde“ doch nicht begehen will. Das „Böse“ in ihm ist nämlich keine unbesiegbare Kraft, sondern sie ist, wie die Götter, der Vernunft des Menschen unterworfen, sie sind, wie er ist und er kann entscheiden, wie er sein will – auch dann, wenn die erste Tat, die Tat der Not, schon geschehen ist, kann er die nächsten Taten eben nicht tun. Er ist seiner Macht zu zerstören ebenso wenig ausgeliefert, wie er vierundzwanzig Stunden am Tag „gut“ sein kann. Denn er ist der Gott, den er sucht… und wie er ihn sucht, so ist dieser Gott dann beschaffen, wenn er ihn findet, aber daran hat er eben von Anfang an ein Mitspracherecht.
Ein Priester, der seine Gläubigen mit einem metaphysisch Bösen schreckt, ist demnach ein Lügner. Das Böse ist ganz und gar profan, es ist ganz und gar menschlich, in der Klarheit des Gottseins verpufft es zu nichts, aber man beachte es immer, auch ein Gott ist kein „Gut-mensch“, sondern er bleibt immer das was er ist: je nach Lage der Dinge konstruktiv oder auch destruktiv, wenn die Lage der Dinge es erfordert. Das hat mit Bösem nichts gemein, das ist eine nüchterne wenn man so will, sogar nur eine Sachentscheidung, bei der Empfin-dungen keine Rolle spielen. Diese Möglichkeit ist dem Menschen ebenfalls an sich eigen und das erklärt auch, warum er offensichtlich unmenschliche Dinge tun kann, ohne dabei selbst zum Monster zu werden, wie die Biographie etlicher SS – Führer und Mitglieder belegt. Die Perversion lässt grüßen, was eigentlich eine Tugend sein sollte, nämlich die Ruhe der Seele in derartige Abwege zu verkehren, aber auch das ist dem Menschen durchaus eigen. Aber die Götter – nein, die Götter sind nicht böse und nicht anders in ihren Gefühlen für Recht und Unrecht als die Menschen, die sie schufen. Nicht einmal der einzige böse Gott, den es gibt, der Ahriman, ist wirklich böse – er ist nur unheimlich und dem guten Gott so gut wie unbekannt. Man frage zuletzt die Götter Mexikos nach dem Bösen, die doch ihr dämonisches Gesicht nun wirklich nach außen tragen. Kein Azteke wird seine Götter böse nennen – aber er wird aus seinem Respekt auch kein Hehl machen und Güte wird nicht gerade die erste Tugend sein, die ihm bei ihnen einfällt, eher schon Gerechtigkeit, die lohnt und straft, aber nichts aus einer Laune heraus, sondern alles mit gutem Grund – anders als Jahwe, der in dieser Beziehung, wie die Bibel uns vermeldet, überaus launisch ist. Indessen ist der Teufel durchaus gerecht – er nimmt sich nur, was er haben kann. Wie sagt der Koran: wenn ihr von Allah gewichen seid, dann kommt der Teufel und nimmt sich den Rest. Er macht nicht „vom Glauben abwendig“ denn wenn der Mensch nicht mehr glaubt, dann auch nicht mehr an ihn, den er doch extra geschaffen hat. Dann ist der Teufel nicht nur von Gott, sondern auch von seinem Schöpfer, dem Menschen, verlassen und das ist wahrlich traurig.
Das Christentum sieht den Teufel am Jüngsten Tag in den Feuersee geworfen und vernichtet. Nun, das würde ich nicht so ganz ernst nehmen wollen, denn die Menschen, die das glauben, glauben ja nicht einmal sich selber. Es ist die Hoffnung, vom bösen Trieb befreit zu werden, der sie immer wieder zu Entscheidungen veranlasst. Es ist ja wirklich eine Qual, ein ganzes Leben lang inmitten aller Turbulenzen immer selbst entscheiden zu müssen, wohin es gehen soll. Und erlöse uns von dem Bösen – betet der Christ – ja, aber liebe Leute, warum wollt ihr denn von euch selbst und der Macht, auch etwas wegschaffen zu können, befreit werden? Warum bittet ihr an jedem Sonntag darum, von eurem besten Stück, eurer Mündigkeit, die auch das Destruktive einschließt, befreit zu werden? Ihr Schafe… da fällt mir eigentlich nur noch Bäh! ein… und es gibt auch noch irgendwelche Spinner, die Konstruktives und Destruktives in einem antagonistischen Dualismus sehen wollen. Dabei verkennen sie durchaus, dass beides notwendig ist, damit Mensch und Welt und auch die Himmel an die manche glauben, weiter bestehen. Es muss was fort, damit etwas Neues sein kann, das ist die Regel der Evolution und die ist bestimmt nicht dualistisch. sondern immer zwei in eins.
Die Inder sind da klüger, ihr Shiva ist kein Teufel, sondern ein großer, guter Gott, der das Unbrauchbar und Unnütz Gewordene wegschafft, damit Neues an seine Stelle treten kann, denn er weiß: die Welt hat viel, aber nicht ohne Ende Platz für alles. Auch ihr Yama ist kein Teufel, sondern der Gott, der das zu Ende gelebte Leben aufhebt, damit es nicht irgendwo verkommt. Brahma schafft die Dinge – er schafft sie ohne hinzusehen, denn Schaffen ist alles was er kann. Vishnu erhält die Dinge und er kennt sie auch in seinen vielen Avataren hat er Teil an ihnen. Shiva beseitigt die Dinge, die auch er kennt. Nur Brahma kennt die Dinge nicht, die er schafft. Die Trimurti ist wie ein Abbild der evolutionären Kräfte: Entstehen, Dauern und Vergehen. Und das Böse? Das tut nur der Mensch als bewusst Böses und dank seiner unentdeckten Göttlichkeit zuweilen recht chaotisch und gerade dann kopflos, wenn er meint, den Stein der Weisen entdeckt zu haben, denn den gibt es nicht. Aber aufgesetzte Weisheit gibt es auch nicht, sie entlarvt sich und am Ende geht sie auf Mord aus, wie ich es neulich in etwas milderer Form an unserem Rattenfänger Tigges erleben durfte. Der hatte das Böse wahrlich mit Löffeln gefressen und was soll ich sagen, in seinem Munde war es süß wie Honig, richtig bemessen für sehnsüchtige Seelen, oh, wie er geliebt wurde, unser halbes Projekt war ihm verfallen und einige sogar rettungslos. Das ist mal wirklich böse: das nennt man Demagogie. Denn er stand und steht in Diensten von Leuten, die ich nicht einmal mit der Kohlenzange anfassen würde und ich verachte eigentlich keinen Menschen aufgrund seiner Herkunft oder seines Umfeldes, sondern nur und allenfalls aufgrund seines Charakters. Aber genug der unerfreulichen Dinge, wenden wir uns unserer eigenen Freiheit zu, anstatt über die Unfreiheiten Anderer zu trauern, denn vergessen wir nicht, Rattenfänger hin und her, sie haben es sich selbst erwählt…

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