14.07.2014

Intelligenz, Verstand, Vernunft…

Des Menschen Art fiel nicht vom Himmel. Mehr als ein Versuch, etwas in der Art zu schaffen, sind in der langen und doch erst so kurzen Geschichte des Lebens misslungen, bis es zu dieser Lösung kam. Aber auch diese Lösung, so praktikabel sie ist, hat ihre Ecken und Kanten und ihre Unwägbarkeiten.
Da ist zum Einen die Evolution. Ihre Kraft, denn sie ist ein aus sich selbst wirkendes Prinzip, wurde genutzt, um einen Teil der menschlichen Möglichkeiten aus dem heraus zu schaffen, was sich da in der materiellen Ebene ereignete. Das begann mitnichten erst mit der Existenz der warmblütigen Säugetiere und ihrer energiefressenden Lebensweise. Die wechselwarmen Formen schienen im Gegenteil weitaus effizienter zu sein, da sie sich mit den äußeren Gegebenheiten der Sonnenferne und Sonnennähe sehr viel besser vertrugen, als stets warmblütige, die ihre Energien über ihr halbes Leben wieder mit Energie schützen müssen. Aber die Saurier starben in der durch die – wechselwarmen – Phaetonier ausgelösten Katastrophe vor 65 Millionen Jahren aus und das heutige Interesse an ihnen ist eine schwache Reminiszenz des heutigen Menschen an das, was er selbst hätte werden sollen und auf diese Art nicht mehr werden konnte. Die Evolution musste andere Wege gehen und ging sie. Bis heute haben Menschen übrigens darunter zu leiden, dass sie nur die „zweite Wahl“ in einer stets instabilen Welt sein können. Auf Phaeton gab es alle die Unwägbarkeiten nicht, die es auf der Erde von allem Anfang an gegeben hat. Aber der Planet ist Geschichte und alle Versuche, diese Geschichte zu korrigieren, sind bisher erfolglos geblieben.
Wer aber heute und auf Erden Versuche mit warmblütigen Tieren anstellt, wird bald er-fahren, dass sie nicht nur Instinkte, sondern auch etwas besitzen, das man ohne weiteres als Intelligenz ansehen kann. Sie benutzen und entwickeln Werkzeuge, sie optimieren ihre Nahrungsmittel, sie entwickeln kommunikative Systeme aus Lauten und verhaltenstechnischen Signalen, einige sind sogar in der Lage, Grundlagen des menschlichen Kommunikationssystems zu erfassen. Ich denke hier an die Bonobos, die zwar aufgrund ihrer Kehlkopfsituation nicht sprechen können, aber sehr wohl in der Lage sind, menschliche Kommunikation zu erfassen und über die Benutzung von Bildern selbst an ihr teil zu nehmen. Ich denke an Hunde, die die Kommandos der Menschen ebenso erfassen können wie deren emotionale Situation und die entsprechend zu reagieren vermögen. Sie können, und darüber hinaus auch viele andere Tierarten, Signale nicht nur der eigenen Art verstehen und sinnentsprechend verarbeiten, sind also elementar „sprachbegabt“. Und sie können denken, sie folgen nicht nur blind instinktiven Befehlen und antrainierten Verhaltensmustern. Sie können unmittelbare Zusammenhänge erkennen, wenn sie auch keine Möglichkeit zu abstraktem Denken besitzen und mittelbare Zusammenhänge nicht aufdecken können. Aber sie haben Zugang zu Emotionen, nicht nur den eigenen, sondern auch denen einer anderen Art, wie mir mein Katerchen beinahe täglich beweist. Der hat sogar noch etwas mehr: ein ausgeprägtes Bewusstsein für Recht oder Unrecht und geschieht ihm Unrecht, findet er auch den Weg, mir das zu zeigen indem er mich anspringt und kratzt, aber dabei schnurrt „ich mein es nicht böse, aber das muss ich dir jetzt mal erklären“ heißt das. Dabei kann das kleine Tier dann geradezu furchterregend werden. Aber wenn es vorbei ist, dann ist es vorbei, er ist nicht nachtragend. Immerhin weiß ich aber, dass sein Verhalten weitaus mehr beinhaltet als nur einen Ablauf verschiedener Reflexe.
Dieses System von willensgesteuerten Verhaltensweise nennt man Intelligenz. Sie wächst aus dem materiellen Vorrat heraus und gilt den materiellen Umständen (die Bedürfnisse meines Katers sind darin eingeschlossen) eines warmblütigen Lebewesens mit zureichender Gehirnkapazität. Daher kommt es, dass auch Ratten intelligent sind – sie sind Warmblüter und sie haben eine ihrem Organismus entsprechende Gehirnkapazität, mit der sie ihre konkreten Umstände erkennen und Unzumutbarkeiten begegnen können. Aber natürlich hat der Mensch ihnen allen Entscheidendes voraus – seine Intelligenz umfasst zwar auch nur sein Umfeld, aber er hat ein um Vieles größeres als eine Ratte oder auch mein Kater. Er hatte es nicht von Anfang an, aber ein Merkmal der Intelligenz ist die Lernfähigkeit und die besaß er und besitzt sie in hohem Maße. Er kann Inhalte erwerben, verarbeiten, erweitern und vor allem: er kann sie an seine eigene Art weitergeben, damit die nächste Generation auch noch beschäftigt sei und durch sie die übernächste und so fort. Mit Hilfe der Intelligenz erfährt der Mensch, worin er lebt, wovon er lebt, wer und was mit ihm lebt und wie er sich das Leben vor allem komfortabler gestalten kann indem er dies alles erkennt. Das ist dann aber erst einmal auch schon alles. Und wer die Komplexität der Materie kennt, wundert sich nur, dass es ihm bei aller Intelligenz noch nicht umfassend gelungen ist, sie sich vollkommen dienstbar zu machen. Aber er weiß auch, dass der Mensch nicht in seinem Eifer nachlassen wird, bis dies erreicht ist.
DER Mensch – habe ich da nicht etwas falsch gemacht? Die Möglichkeiten von Menschen sind doch durchaus unterschiedlich? Es gibt Schlaumeier und Quadratschädel, von Behinderungen gar nicht erst zu reden. Es gibt Leute, denen brennt auch das Wasser noch an und solche, die anscheinend gar nicht mehr mit Wasser kochen. Intelligenz ist durchaus unterschiedlich verteilt und wie es scheint sogar mit der Gießkanne innerhalb eines einzigen Gehirns, denn viele auf einem Gebiet sehr intelligente Menschen sind auf anderen Gebieten nur eben durchschnittlich ausgestattet oder gar darunter, wobei ich hirnorganische Defekte wie die von Savants noch gar nicht berücksichtige. Aber ein Wissenschaftler kann durchaus nicht in der Lage sein, die Folgen seiner Arbeit einzuschätzen und ein Lehrer kann ein noch so großes Wissen auf seinem Gebiet haben, dennoch gelingt es ihm nicht, es seinen Schülern weiter zu geben. Denn ihnen fehlt etwas an einem entscheidenden Bestandteil der menschlichen Leistung: ihnen fehlt es an Verstand. Verstand ist die Fähigkeit, vorhandene Intelligenz mit der sozialen Ebene menschlicher Existenz zu vernetzen und zwischen den einzelnen Möglichkeiten intelligenten Lebens Zusammenhänge zu sehen und Konsequenzen zu ziehen. Ein verständiger Mensch erkennt Chancen und Grenzen, erkennt Mehrbegabungen und Defizite und erkennt, wo ein Gebiet in ein anderes übergleitet und wo sich zwei Faktoren gegenseitig ausschließen. Dem Verstand ist es möglich, zu sagen, wo er sich vom bloßen Empfinden leiten lässt und wo er dies besser hintan stellt. Kurz und gut: der Verstand modi-fiziert die Intelligenz zu einer sozial verträglichen Institution, er macht sie erst eigentlich menschlich. Reine Intelligenz kann auch auf technischen Wegen kopiert werden – Verstand nicht. Ein Roboter kann überragend intelligent sein – verständig wird er niemals werden. Übrigens trifft das auch auf manchen Manager zu, der zwischen seiner Intelligenz und sei-nen Empfindungen keine Brücken bauen kann. Denn er kann nicht mit Unschärfen umge-hen, nicht mit Ahnungen, nicht mit seiner eigenen Psychologie, ihm fehlt die Fähigkeit des Abwägens, was er kann, das tut er ohne weitergehende Überlegungen. Der Mensch aber wägt ab, schaut um sich und in sich hinein, und handelt nach der Devise: was ich nicht will, dass man mir tu, das füg ich keinem andern zu. Das erscheint vernünftig, aber es ist noch weit von dem „Gottesgeschenk“ der Vernunft entfernt.
Was die Vernunft sei, sagt uns das Johannesevangelium im ersten Vers des ersten Kapi-tels wo es heißt: IM Anfang (nicht: am Anfang) war die Vernunft und die Vernunft war bei Gott und Gott war die Vernunft. Hole der Teufel den Hieronymus, der aus Vernunft „Wort“ gemacht hat, was auch möglich ist, aber so recht keinen Sinn ergeben will, weshalb es auch Dutzende von Kommentaren zur sogenannten Logos – Theologie gibt. Der Vers ist ein Zitat aus einer „gnostischen“ kosmologischen Schrift, die ihrerseits auf einer uralten Urkunde beruht, der heute so genannten „Theologie von Memphis“ in der zum ersten Mal die Rolle der Vernunft als das Vorgeordnete definiert wird. In der Vernunft erscheint der Geist im Menschen und führt ihn so seinem eigentlichen Sinn entgegen. In ihr verschmelzen Geist und Materie zu der unnachahmlichen Einheit Mensch. Aber dieser Prozess bedurfte einer Entwicklung von etlichen Jahrhunderttausenden und er ist noch bei weitem nicht abge-schlossen. Es gibt auf Erden immer noch weitaus mehr intelligente, allenfalls verständige und im Grunde wenige vernünftige Menschen. Denn die Vernunft beherrscht Intelligenz und Verstand, sie ist beiden übergeordnet und sie ist, wie wir erfahren haben, sogar dem Menschsein überlegen. Sie sprengt alle Grenzen, ist weder von Zeit, noch Raum zu fassen, sie setzt sich selbst das Maß und das Wort „unmöglich“ gibt es bei ihr nicht. „Und Gott war die Vernunft“ – oh ja, wenn es einen Gott gibt, dann ist er in dieser Vernunft gegenwärtig wo auch immer sie erscheint. Alle anderen Vorstellungen sind Chimäre. Da man sie im Ganzen nicht beschreiben kann, erlaube man mir, wenigstens mit einigen verbreiteten Vorurteilen aufzuräumen, es ist bald getan.
Vernunft ist nicht allmächtig. Das ist auch ein realer Gott nicht. Es liegt überhaupt nicht in ihrem Interesse, irgendeine Art von Macht auszuüben, geschweige denn Allmacht, denn Vernunft ist das Gegenteil jeder Art von Zwang und damit das Gegenteil jeder Art von Macht und sei sie zum Besten einer jeden Kreatur, denn sie ist von allen Kreaturen unabhängig. Vernunft ist auch nicht allwissend, denn der Prozess des Wissens vollzieht sich unabhängig von ihrer Existenz. Kein realer Gott wird auch jemals auch nur allwissend sein wollen. Es genügt, dass ihm jede Situation dann, wenn sie geschieht, zugänglich ist und dass er sie, wenn sie geschehen ist, gegebenenfalls auch wieder anders akzentuieren kann, was aber äußerst selten vorkommt, da nur äußerst selten reale Fehlentwicklungen vorkommen. Die meisten anscheinenden Fehlentwicklungen sind nur sozusagen krumme Schritte auf einem an und für sich geraden Weg. Da ein realer Gott das weiß und sieht, wird er sich hüten, da hinein zu greifen. Die Vernunft aber genügt sich selbst und greift gerade in der größten Unvernunft nicht ein, denn das Resultat der Unvernunft kann nur die Rückkehr zur Vernunft sein – auch dann, wenn sie um den Preis einer existenziellen Katastrophe ersten Ranges erkauft wird. Die Freiwilligkeit aber steht über allem und Freiwilligkeit bedeutet die absolute Freiheit alles Lebendigen, auch die Freiheit zur absoluten Unvernunft. Das ist für einen Menschen schwer zu begreifen, für einen guten Menschen überhaupt nicht, aber die Vernunft kann von der Notwendigkeit, verstanden zu werden, absehen, sie ist ein An Sich, ein a priori Gegebenes und so allgegenwärtig wie unzerstörbar. Sie koordiniert im kleinen Rahmen die Vorgänge der Intelligenz mit denen des Verstandes unter einer beide umfassenden Sicht, ist aber an diesen Rahmen nicht gebunden. Sie koordiniert im größeren Rahmen die Leistungen von Intelligenz und Verstand mit dem ganz anderen Bereich des Emotionalen, ist aber auch an diesen Rahmen nicht gebunden. Aber der Bereich des Emotionalen, das „Gefühl aus dem Bauch“ ist schon wieder eine ganz andere „Baustelle“, der wir uns hier weiter nicht widmen wollen.
Halten wir fest: die menschliche Natur setzt sich zusammen aus ihrem materiellen Erbe, der Intelligenz, die ihrerseits die Voraussetzung dafür ist, dass sich Vernunft im Menschen niederlassen konnte. Wie die Seele der Koordinator zwischen materieller und geistiger Existenz ist, so ist der Verstand zwischen Intelligenz und Vernunft die vermittelnde Institution. Ausführendes Organ für Intelligenz wie für Verstand ist das Gehirn mit seinen diversen Funktionen und Anlagen. Für die Vernunft ist die Existenz eines Gehirns nicht notwendig, weshalb auch ein beeinträchtigtes Gehirn imstande sein kann, grundlegende Werte zu er-kennen und zu verwirklichen, die ihren Ursprung in der Existenz der Vernunft haben. Es ist sogar an dem, dass solche Menschen die Werte der Vernunft mitunter (nicht generell, das hängt von der Schwere der Beeinträchtigung ab) reiner und existenzieller zur Geltung bringen. Die orthodoxen Christen haben hier einen reichen Erfahrungsschatz, der den Westlichen infolge ihrer Orientierung auf die Intelligenz als Maßstab größtenteils abhanden kam. Was nun freilich nicht heißen soll, dass wir uns an ihnen orientieren sollten, aber doch hei-ßen kann, dass wir unserer Intelligenz eine weniger zentrale Rolle zubilligen sollten als das bisher geschieht. Denn im Anfang war nicht die Intelligenz, sie ist ein Produkt der materiellen Evolution, sondern: im Anfang war die Vernunft und wenn wir selbst zu unseren eigenen Anfängen gelangen wollen und von dort aus darüber hinaus, wäre es ratsam, die eigene Vernunft wieder zu entdecken….

 

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