14.07.2012

Bewusstsein und Ekstase

Die beiden Zustände haben nichts direkt miteinander zu tun? Sicher – Bewusstsein bedeutet Bei Sich Sein und Ekstase ist ungefähr das genaue Gegenteil dessen, klar. Und während hier drei oder vier Menschlein danach streben, bei sich zu sein und zu bleiben, rennen Hunderttausende beinahe einer über den andern kugelnd, in die Ekstase. Na so was aber auch… ja, so was. Ein gut Teil des indischen Tourismus lebt davon und lebt gut davon, dass gelangweilte und frustrierte Europäer bei ihnen das Außerordentliche suchen – und möglicherweise sogar finden. Thailand bietet nicht nur Sex an, sondern auch Meditationskurse, wochenweise, einer unsrer Mitarbeiter hat einen mitgemacht, er war nicht einmal schlecht, nein, aber musste es denn unbedingt Thailand sein? In Marokko, hörte ich sagen, kann man bei Sufis Unterricht in Ekstase nehmen und wenn man sich geschickt genug anstellt, kann man sogar Allah begegnen – hoppla, das ist doch was, nicht wahr? Natürlich kostet das alles eine  Kleinigkeit, aber die Leute wollen schließlich auch leben. Es ist nicht die Vermarktung der Ekstase, die mir Bauchweh macht, es ist diese selbst.

Bewusstsein, das weiß ich gut genug, macht keinen Spaß, denn bewusst ist man die meiste Zeit seines Lebens und dieses Leben hat nicht viel Wunderbares zu bieten. Die Liebe vielleicht oder die Geburt der Kinder, aber dann ist alles auch schon wieder vorbei, das Wunder der Geburt wird zur jahrelangen Sklaverei unter dem Willen der lieben Kleinen, die schreien und später um die Wette die Hand aufhalten, die Liebe altert und man braucht mit der Zeit neue Reize, die aber lassen sich, je länger desto schwerer finden, und reich – Geld macht zwar nachgewiesenermaßen sexy, aber wer ist schon wirklich reich? Dazu kommt noch der Stress beim Geldverdienen, der mehr von den Mitmenschen ausgeht als von der Arbeit selber, also nee, Spaß macht das alles nicht und endlich kommt einer zu dem Schluss: das Leben ist nur noch im Suff zu ertragen. Punkt. Ab nach Indien, ab nach Marokko, ab auf die Insel, wenn nicht für immer, so doch für gemessene Zeit.

Soweit die relativ ungefährliche Seite der Ekstase… aber weil Beisichsein so langweilig ist, kommen etliche Zeitgenossen auf die Idee, wenn schon kein anderes, dann wenigstens ein erweitertes Bewusstsein anzustreben und weil das von Natur aus nicht geht, nehmen sie diverse Hilfen in Anspruch. Nun nicht gerade Alkohol, weil der in dieser Beziehung auch wirklich gar nichts bringt, aber der ganze Zirkus der übrigen Drogen, harten und weichen, steht beflissen zu Diensten. Und wutsch – geht nicht nur die Ekstase, sondern auch das Bewusstsein gar nicht mehr ohne… aber das ist ein anderes Kapitel.

Erst einmal und ich bitte, dies so zu verstehen, als sei es in  eherne Lettern gegossen oder mit dem Griffel Jahwes in Steintafeln geritzt: Der Mensch ist mit genügend Hirnkapazität ausgestattet um ein Bewusstsein für alles zu haben, was ihn angeht. Es ist nicht nötig, dasselbe irgendwie künstlich zu erweitern. Der Vorwurf, er würde nur 10 Prozent seiner Kapazität nutzen, ist blanke Irreführung: denn die restlichen Neunzig Prozent Hirnmasse sind nicht dazu da, Bewusstsein zu bilden, sondern sie stellen, neben verschiedenen Speicherarealen und Zentren zur Bereitstellung bestimmter Fähigkeiten,  Sicherungen dar, die dazu bestimmt sind, die aktiven Areale des Gehirns im Normalbetrieb zu schützen, im Krisenfall aber zu ersetzen. Wer schon einmal einen Schlaganfall oder eine Hirnverletzung überstanden hat, wird es wissen. Mit diesen zehn Prozent Hirnmasse macht er also alles, reguliert seine Motorik, spricht, denkt, empfindet, tüftelt, grübelt und so weiter. Diese zehn Prozent sind seine hundert Prozent, wenn es darum geht, Mensch zu sein – und manchmal auch Unmensch und Ungeheuer. Es ist weder physiologisch noch erkenntnistheoretisch notwendig, diese Anlagen irgendwie auf andere Areale auszudehnen, die könnten im Normalfall gar nichts damit anfangen. Wie jeder Schlaganfallpatient weiß, müssen sie im Bedarfsfalle erst mühsam „antrainiert“ werden, um ihre neuen Aufgaben übernehmen zu können. Darüber können Jahre vergehen…. Also Schluss mit den Lügen von der Bewusstseinserweiterung durch irgendwelche Substanzen. Allenfalls sorgen solche für mehr oder weniger Durcheinander im Spiel der Synapsen. Aber dies schafft eben keine systemische Erweiterung, denn  was da geschieht beruht auf Trugwahrnehmungen. Bleiben wir lieber brav bei unseren zehn Prozent aktiver Hirnmasse.

Der Mensch hat den Computer nach seinem Bilde geschaffen und er musste viel über die Vorgänge und Hierarchien im eigenen Kopf erfahren, ehe er sich an diese Arbeit machen konnte. Er hat sozusagen sein eigenes Gehirn digitalisiert und dabei einige grundlegende Entdeckungen gemacht. Das Gehirn, hat er heraus bekommen, ist das Aktionszentrum des gesamten Körpers. Also hat er ein Gehirn in seinen Pc hinein gebaut: den Prozessor. Die gesamte Rechen- und Koordinationsarbeit läuft in diesem ab und zwar nach einem ganz einfachen System: Strom fließt oder Strom fließt nicht, eins oder null, das nennt man binär und es funktioniert vortrefflich, mehr braucht man gar nicht. Dann leistet man sich noch Festplatten, die in ihrer Funktion unserer Großhirnrinde ähneln: sie sind Speichermedien, sie nehmen neue Informationen und Anweisungen auf und überschreiben sich wiederholende Aktionen miteinander, fügen auch Änderungen im Detail gleich mit ein. Und dann gibt es noch die diversen Leitungen, die das Ganze zusammenhalten: Adern, Nervenbahnen, Lymphe… und so weiter und so fort. Mit manchen, den Nervenbahnen, hat das Gehirn unmittelbar zu tun (Hauptkabelband Wirbelsäule und Platinen Grafikkarte und Sound), mit andern nur mittelbar. Bewegt wird das Ganze durch elektrischen Strom und das Größenverhältnis  des Prozessors zum PC ist ungefähr vergleichbar dem zwischen unseren aktiven Hirnarealen und dem Gehirn als solchem samt Anhang. Aber ohne jemanden, der den PC an- und ausschalten und seine Möglichkeiten nutzen kann, ist das alles nur ein Haufen Blech und Draht. Programme müssen geschrieben werden in einer Sprache, die mit den Möglichkeiten des PC kooperiert, der Kerl versteht nun einmal kein Altgriechisch und auch kein Chinesisch, er versteht nur: eins oder null, und er versteht allenfalls noch wie viel Mal und an welcher Stelle und ob er subtrahieren oder addieren oder multiplizieren oder dividieren soll – Division durch Null ist verboten, da bleibt er dann stehen. Er braucht den Programmierer; er braucht uns. Und wir? Sollten wir nicht vielleicht da dies Gerät nun einmal nach unserem Bild erschaffen wurde, auch einen solchen Programmierer brauchen, der über alles, was da geschieht, die Übersicht hat und manchmal eben auch verliert? Einen, der weiß, was er mit dem allen will und was nicht? Denn der Haufen Blech da weiß das nicht und die Stromstöße wissen es auch nicht. Die tun einfach, was ihnen gesagt wird und Manches können sie schon von allein, weil sie es so oft getan haben, man nennt das Routinen und Subroutinen. Die kann man in den Prozessor übrigens einprogrammieren, damit sich der Programmierer nicht immer wieder mit denselben Albernheiten abarbeiten muss, ehe er zur Sache kommen kann. Das bedeutet auf der andern Seite: der Programmierer muss sehr sorgfältig arbeiten und seine eigene Arbeit stets und ständig reflektieren und das in jedem Schritt und Zwischenschritt. Bis er solch ein funktionierendes System von Routinen zusammen hat, kann also viel Mühe und viel Selbstbetrachtung vergangen sein, in der er eines bestimmt gemerkt hat: so schnell der Prozessor auch ist – er ist schneller und daher muss er jetzt mal langsamer werden und seine eigene Arbeit erforschen. Dabei lernt er auch viel über sich selbst, das kann man zu Recht annehmen. Dass er damit aber etwas Elementares und Grundsätzliches tut, ist ihm nicht bewusst und er würde lachend  protestieren, wenn man ihm sagen würde, dass er jetzt gerade das tut, warum andere sich in Ekstase begeben – denn er ist dabei natürlich hellwach und ganz bei sich. Anders ist das gar nicht zu bewerkstelligen. Denn um zu wissen, wie der Computer „denken“ soll, muss er erst mal sein eigenes Denken kennen, von dem das des Computers ja abhängig ist.

Was wir jetzt an einem einfachen Beispiel abgehandelt haben, ist in Kurzem die Funktionsweise des Bewusstseins und zugleich auch die Art und Weise, wie diese Funktionsweise mit der des Gehirns korreliert. Macht das Bewusstsein einen Fehler – und es ist nicht fehlerlos – macht das Gehirn auch einen, was nicht immer heißen muss, dass nichts mehr funktioniert, nur – es geht irgendwie verkehrt und verquer. Wir kennen dies Phänomen alle und pflegen dann zu sagen: ach, der Computer ist auch nur ein Mensch.

Wo dieses Bewusstsein „sitzt“ darüber ist die Wissenschaft vom menschlichen Gehirn sich durchaus nicht einig. Einige meinen, es säße in irgendeinem Hirnareal, andere meinen, Bewusstsein sei die Quintessenz der Zusammenarbeit aller Areale, was gar nicht so verkehrt beobachtet ist und wieder andere meinen, dass diese Zusammenarbeit nie und nimmer vom Gehirn selbst initiiert sein kann, was auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist, denn die Hirnmasse an sich ist nur eine organische Substanz, die von sich selbst nichts, aber auch gar nichts weiß, die vielmehr nur dazu dient, Nervengewebe funktionsfähig zu halten. Diese Nervenbahnen haben aber auch keine „Philosophie“, sondern sind bloße Leitungen für eine Energie, die gleichfalls über sich selbst nicht reflektiert. Aber jeder Mensch, ja sogar einige Tiere haben ein Bewusstsein, können Verhaltensweisen lernen, können Verhaltensweisen planen und auch verwerfen, können Gegenstände und sich, wie einige Affen[1], sogar selbst im Spiegel erkennen, können sagen: das bin ich. Damit ist allerdings das Reservoir ihrer Bewusstseinsleistungen dann auch erschöpft, einen Liebesbrief werden sie niemals schreiben oder es sind dann eben keine Affen mehr. Das Bewusstsein fiel also nicht vom Himmel und dem Menschen in den Schoß, sondern es ist im Leben selbst bereits angelegt, nur: seine volle Kraft entfaltet es nur im Menschen und das ist rätselhaft, denn immerhin besitzt ein Schimpanse 99 Prozent genetischer Übereinstimmung mit dem Menschen und doch – Neurologie wird er nie studieren. Ein einziges Gen sollte so viel Unterschied machen? Oder ist es vielleicht nicht nur das Gen? Oder ist das Gen aus gutem Grund verschieden? Sind hier Voraussetzungen geschaffen, die eben beim Affen nicht geschaffen wurden und warum sind sie das nicht? Beschränkt sich diese Anlage auf den Menschen oder ist etwas Vergleichbares auch für andere Orte des Universums denkbar?

Nehmen wir mal das Letzte zuerst: Ja, es ist denkbar. Denn was im terrestrischen Raum funktioniert, kann aufgrund der Einheitlichkeit der im Universum wirkenden Kräfte überall funktionieren wo gleiche Bedingungen gegeben sind. Gleiche – nicht ähnliche, denken wir an den Schimpansen, nur ein Gen und es funktioniert schon nicht mehr. Warum sollte ein einziges Gen aber solch einen Unterschied machen? Deshalb, weil Evolution als universales Prinzip nie beim Erreichten Halt macht, das ist das Eine und weil sie dieses Erreichte nur in minimalen Schritten verändert. Also ein Gen ist ausreichend für eine so tiefgreifende Veränderung, wie sie mit der Ablösung des Hominiden aus der Gattung der Primaten erfolgte. Alles weitere im menschlichen Bauplan muss sich dann nach den Maßgaben dieses Gens richten. Vielleicht kommt einmal ein Gen hinzu, das wiederum eine neue Lebensform aus dem entstehen lässt, was wir heute sind – oder auch nicht, wer weiß. Nach dem zu urteilen, wie wir uns verhalten, scheint es, als habe die Genetik hier eine Endstufe erreicht, an der ihre biologisch – materielle in eine geistig – kulturelle Evolutionsetappe umschlägt. Denn alles was nach dem Menschen geschehen ist, ist in Bezug auf jedes weitere Phänomen auf geistig – kulturellem Gebiet geschehen. Körperlich hat der Mensch sich seit Hunderttausenden von Jahren nicht weiter entwickelt. Wir laufen noch auf denselben Beinen, schauen mit denselben Augen und greifen mit denselben Händen, wie es der Homo Sapiens vor dreihunderttausend Jahren tat, als er sich aus dem gleichen Zweig herausmendelte aus dem auch der Neanderthaler entstand, nur als dessen Alternative. Auch der Neanderthaler konnte denken… er dachte nur auf eine andere Weise und in anderen Bezügen. Und vielleicht gibt es auch für unsere Art schon eine Alternative, die uns überrunden wird, wer weiß. Vielleicht schaffen wir dieselbe gar selbst – die Konstruktion von Androiden ist eines der spannendsten Gebiete zeitgenössischer Forschung und Technik. Aber – werden diese Androiden ein Bewusstsein haben? Was ist nötig, um eines zu erlangen?

Zunächst einmal: nicht eine Anlage oder Fähigkeit entsteht ohne dass eine objektive Notwendigkeit für ihr Entstehen vorläge. Wenn also ein Bewusstsein entsteht, dann gibt es etwas, das ein solches Phänomen unabdingbar macht und sei es nur für die aktuelle Situation. Wo es sich nicht entwickelt, stirbt die Gattung aus. Was also mag die Notwendigkeit gewesen sein, dass eine Lebensform die Fähigkeit zur Selbstreflexion und zum kontrollierten Verhalten im jeweiligen Umfeld bekommt, wobei das Umfeld selber variieren kann? Was war die Notwendigkeit, dass diese Lebensform die Konsequenzen einer Handlung im Voraus abschätzen und sich entsprechend entscheiden kann – dafür oder dagegen? Von ihrem natürlichen Umfeld her gab es keine – der Mensch hätte wie er es ja auch getan hat, über Jahrhunderttausende so weiter existieren können wie er als Hominide entwickelt war und er hätte ohne weiteres in den großen Katastrophen, die seinen Entwicklungsweg begleiteten, aussterben können ohne dass dieser Erde irgendetwas abhanden gekommen wäre. Warum wurde er davor bewahrt, wenn auch mindestens einmal nur mit knapper Not? Warum setzte sich ausgerechnet die menschliche Spezies durch, die wir heute den homo sapiens sapiens nennen und nicht der homo neanderthalensis? Die Wissenschaft vom Menschen gibt auf alles das zwar Antworten, aber können wir uns auf diese Antworten wirklich verlassen? Sicher hing das Überleben der Menschheit auch von der Eigenschaft ab, Informationen vermitteln zu können und soziale Zusammenhalte zu entwickeln, aber woher wusste der Mensch, dass er diese Informationen vermitteln, diese Zusammenhalte festigen musste? Wie konnte er über Wert oder Unwert von Informationen Bescheid wissen? Indem er bereits damals nicht nur ein Bewusstsein für die eigene Existenz hatte, sondern durchaus auch etwas, das man Verantwortlichkeit nennen könnte. Er besaß bereits ein Seelenleben, das er auch artikulieren konnte – und so entstand die Kunst als eine seiner vielen Möglichkeiten, sich das Umfeld nach den eigenen Wünschen zurecht zu stellen. Ihn interessierte – und interessiert  – eigentlich alles, auch das, was nicht unmittelbar mit ihm zu tun hat – das ist seltsam, wenn man im Vergleich betrachtet, dass das Tier alles was nicht unbedingt mit ihm zu tun hat, links liegen lässt und die satte Löwin sogar der erschöpften Antilope ungeschoren vorbeizuziehen gestattet. Der Mensch aber schaut sich die Antilope, die er gar nicht fressen will, dennoch interessiert an, studiert ihre Form, ihren Körperbau und kommt zu dem Schluss, dass sie nicht nur soundso viel Fleisch ist, sondern gleich ihm ein Lebewesen. Das Tier unterscheidet nur nach Zeiten in denen es jagen und sich vermehren kann und solchen, wo das nicht geht – der Mensch aber sieht die Sterne und sieht Sonne und Mond wie sie ihre Bahnen über den Himmel ziehen und – er zieht für sich seine Schlüsse daraus. Und so geht es weiter und am Ende ist er mit seiner Umgebung immer schneller „durch“. Er gibt sich nicht damit zufrieden, dass er schlecht sieht und auch schlecht hört, sondern er erfindet sich Instrumente, die das mehr als ausgleichen – er kann nicht fliegen, dafür fliegt er dann gleich in den Weltraum und er kann große Wassertiefen nicht ertragen, dafür taucht er dann gleich bis zum Grund der Tiefsee. Er gibt nie auf und er gibt sich nie zufrieden mit dem, was er hat und kann, er will immer mehr und mehr und Widerstand macht ihn wütend und erfinderisch zugleich. Damit er aber sich nicht mit sich selber verheddert, gibt er sich Regeln – die er mit wahrhaft virtuoser Geschicklichkeit stets wieder bricht. Denn das ist Bewusstsein – dass man sich selbst handhabt und kennt und dass man sein Umfeld nicht nur irgendwie hinnimmt, sondern ordnet und ihm Bedeutungen zumisst, mit deren Hilfe es handhabbar wird. Dieses Bewusstsein steht niemals still. Es steht nicht einmal still, wenn der Mensch schläft. Allerdings stellt es dann andere Zusammenhänge her und gebärdet sich als wären Zeit und Raum nicht in der Welt. All das schafft er mit den zehn Prozent Gehirnmasse spielend, also was will er da noch erweitern?

Ein Wort noch zu der These von universalen Bewusstsein, das die Esoteriker mit Eifer predigen. Ein solches gibt es nicht, ebenso wenig wie es einen allmächtigen und allwaltenden Gott gibt. Bewusstsein, sei es beschaffen wie es immer sein kann, ist eine sehr persönliche und konkrete Angelegenheit, kein kosmisches oder wie immer An Sich. Der Kosmos, auch der esoterische, hat kein Bewusstsein und ist auch an dessen Entstehung ganz und gar unbeteiligt. Nur das Wesen und in Stellvertretung dessen der Mensch kann Bewusstsein entwickeln.

Kommen wir nun zur Spezifik der Ekstase, wobei ich weiß, dass ich mit dem Komplex Bewusstsein noch lange nicht zu Ende gekommen bin, aber ich möchte hier nicht in Disteln greifen und Diskussionen entfachen, ich möchte die Sache nur etwas eingehender charakterisieren. Also Ekstase: das Lieblingskind aller Frommen, aller Mystiker (die ja nicht immer fromm sein müssen, denkt mal an den großen Nasr ed din), aller Liebenden – Ekstase hat etwas mit Gefühlen zu tun, die außer Rand und Band geraten. Man sieht und hört nicht mehr, was um einen herum vorgeht, der Mensch ist nur noch fixier auf das Eine, von ihm Ersehnte, das ihn gefangen hält. Das können die Liebeskünste des Partners sein, das kann aber auch, wie verbürgt, das Jesuskind sein. Die heilige Theresa sah in der Ekstase wie Jesus ihr Herz mit einem Pfeil, wir nehmen einmal an, es sollte der Pfeil der Liebe sein und Jesus eine Art Erote, durchbohrte. Die böse Zunge, die dabei an eine zölibatäre Nonne und das Geheimnis des Orgasmus denkt, denkt vielleicht gar nicht so sehr an der Sache vorbei. Nicht ganz ohne Grund hat Hugo das (Frauen)kloster mit einem Harem und Jesus mit einem Sultan[2] verglichen. Andere Ekstatiker und Ekstatikerinnen sahen die Passion Jesu, erlebten sie sozusagen als Teilnehmer mit (und brauchten dazu keinen Mel Gibson) – ein unerhörtes Ereignis, wenn man bedenkt, dass diese Passion niemals stattgefunden hat. Dabei waren diese Personen ihrer selbst nicht unbewusst, sie erlebten, was sie erlebten,  sagen sie, wachen Geistes, sie wussten, was sich da vor ihren Augen ereignete, sie fühlten, rochen und schmeckten es, sie hörten, sahen, sprachen sogar und erhielten Antwort, ihr Intellekt war nicht ausgeschaltet.

Wir können also davon ausgehen, dass die Ekstase, anders als die Trance, kein Zustand der Bewusstlosigkeit ist. Wenn der Derwisch in seinem Tanz Allah begegnet, weiß er um diese Begegnung  – nur weiß er nicht, dass sein Allah nicht existiert. Man kann also in etwa sagen, dass die Ekstase die Innenwelt eines Menschen sozusagen nach außen kehrt und ihm seine emotionalen Sehnsuchtsziele als bildliche Szenen vor Augen führt, aber nicht als Halluzinationen eines Geisteskranken, sondern als angestrebte Produkte und vorab gestaltete Phänomene, denn wer nicht daran glaubt, dass sie existieren, dem kann auch nichts erscheinen. Der Betreffende WILL die Ekstase und er will sie so, wie sie geschieht. Dabei ist Inbrunst der Generalschlüssel und genau an diesem Punkt stößt Ekstase dann, obgleich sie wesenhaft nichts mit ihr zu tun hat, mit der Gnosis zusammen, nämlich mit ihrem zweiten und eigentlichen Segment, dem Vordringen ins Reich des Geistes. Auch hier ist Inbrunst am Werk, aber es ist eine andere und daher gleichen die Bilder sich in keiner Weise und der Zustand dessen, der sie erlebt, ist auch nicht ekstatisch, also seiner konkreten Umwelt unbewusst und vor allem: er wird niemals Gott begegnen, gleich welchen man meint. Ansonsten gelten die gleichen Regeln: der dem das geschieht ist wach, ist unbeeinflusst von chemischen Substanzen, weiß wer er ist und was er will (soweit er das wissen kann) und hat das Ereignis auch auf keine andere Weise erzwungen. Es ist einfach gekommen, weil die Inbrunst groß genug war, dass sich über das Innere ein Weg in ein neues Außen öffnete, denn der Betreffende, wir nennen ihn hier mit Absicht nicht Gnostiker, denn das ist er noch lange nicht,  sieht nicht, was er sehen will, sondern er sieht und erlebt, was da ist. Wenn es keine Passion gab, wird er auch keine erleben und so fort. Sondern er sieht die Welt – die ganze soweit er sie begreifen kann, denn was ihm unbegreiflich ist, kann sich in seinem Bewusstsein auch nicht spiegeln. Für jemanden, der Gnostiker werden möchte, ist solch ein Erlebnis ein auf jeden Fall weiterführender Schritt, denn er weiß nun; die haben nicht gelogen, die ihm von einer anderen Wirklichkeit sprachen. Es gibt sie und sie lässt sich finden, wenn man sie nur finden will. Und – sie schaltet das Bewusstsein nicht aus, sie ist vielmehr ein unvergessliches Ereignis in demselben. Das Gefühl schlägt nicht etwa über die Stränge, sondern wird eher beruhigt und geklärt indem der Mensch etwas dazu gelernt hat. Natürlich ist dies Empfinden schön, aber für manchen auch beunruhigend, sodass er es gern in das Reich der Einbildungen abschieben möchte, aber: es ist keine und er weiß es, auch wenn er es nicht wissen will.

Diese „Ekstase“ scheint aber etwas von der frommen Grundverschiedenes zu sein, denn erstens verliert man das Gefühl für die konkrete Umgebung nicht, zweitens ist das Begreifen wie es scheint, wichtiger als das „Erhobensein“ durch etwas Außerordentliches, drittens fehlt der ganze Komplex des Sentimentalen, der für die fromme Ekstase so grundlegend ist. Es gibt kein seliges Dahintreiben ähnlich der Situation nach einem Orgasmus (mit dem die fromme Ekstase eine fatale Ähnlichkeit hat). Im Gegenteil – wer dies erlebt hat, ist wach, sehr wach und aufmerksamer für sein Umfeld, als er es sich je vordem hat vorstellen können. Ihm hat sich etwas enthüllt, was anderen  verborgen bleiben wird und er weiß es – daher wird er auch bestrebt sein, seine „ekstatischen“  Erlebnisse nicht auf der Zunge vor sich her zu tragen und als Beweise seines Glaubens anzuführen, wie das bei vielen Mystikern der Fall ist. Dieses innere Wissen, über das er nun verfügt, ist sein persönlicher Schatz, ist sein Verhaltenskompass, der ihm von nun an weiterhin die Richtung angibt.

Diese Art der Ekstase lässt sich durch kein chemisches Mittel herbeiführen, sei es nun natürlichen oder künstlichen Ursprungs. Sie lässt sich auch nicht durch besondere Übungen herbeiführen, nicht durch asketische Haltungen erzwingen; sie kommt, wenn es an der Zeit ist, dass sie zu kommen hat und auch die Inbrunst, welche die Türen zu ihr sozusagen aufschließt, kann nicht erzwungen werden; sie kommt, wenn es an der Zeit ist, dass sie käme. Sie kommt unerbeten, wenn alles was erfüllt sein muss, seinen Dienst getan hat und diese Welt mitsamt ihren Religionen und Philosophien mit ihrem Text am Ende angekommen ist. Hält man ihre Kraft gegen diese Phänomene so verblassen sie zu nichts, zu bloßen Schnörkeln der Existenz. Diese Ekstase fegt das Bewusstsein nicht hinweg, sie unterstützt und fördert es vielmehr, bestätigt es und legt die zehn Prozent, die wir von unserem Gehirn benutzen, zum ersten Mal wirklich frei und das tut sie unumkehrbar. Zwar ist es nicht so, dass uns von nun an alle Welträtsel klar wären – aber wir sind berührt worden von einem Zustand, der uns versichert, dass da mehr ist als das ohnmächtige Kleben an einer Scholle die uns letztenendes nicht mehr zu bieten hat als den biologischen Untergang. Die Vernunft mag diese Erlebnisse sogar beiseiteschieben und sie mögen im Einerlei des Alltags, in unseren „normalen“ Denkgewohnheiten untergehen – aber sie wirken in tausend Kleinigkeiten fort und eines Tages, früher oder später, stehen wir da, wo wir stehen sollen. Diesen Augenblick nun wünsche ich jedem, der sich auf Gnosis einlässt – denn er ändert, ohne jede Ekstase, alles, aber nichts zum Schlechteren. Aber wie gesagt: versucht niemals, ihn zu erzwingen, weder mit Tabletten, noch mit anderen Substanzen, nicht mit Hunger, nicht mit Durst, nicht mit Yoga und nicht mit Meditationen – das hilft alles nichts und führt nur auf Umwege, wenn nicht gar in Sackgassen[3]. Aber – kann man denn gar nichts tun? Doch, etwas kann jeder Mensch für sich tun – das Leben, das er hat, bewusst zu führen, solange er bei Bewusstsein ist.

 

 

 

 


[1] konkret die Bonobos, die übrigens auch Sprache lernen können, obgleich sie physiologisch nicht in der Lage sind zu sprechen.

[2] Victor Hugo, Les Miserables

[3] Das soll sagen, dass gegen Umwege unter Umständen nichts zu sagen ist, aber wozu soll der Mensch, der eine ohnehin nur geringe Aktionsspanne hat, sich noch mit Sackgassen plagen?

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