7.07.2012

Gott und Mensch in der Gnosis

 

Diese Überschrift ist nicht ohne triftigen Grund einem wichtigen Werk der christlichen Gnosisforschung nachgestaltet. Denn das Problem Mensch versus Gott scheint für die religiöse Herangehensweise an die Gnosis ein schier unlösbares Problem zu sein, auf welches sie mit immer mehr Ingrimm reagiert hat und bis zur Stunde noch reagiert.

Ich nehme dieses Problem mit einem gewissen Amüsement zur Kenntnis und stelle fest, dass zwar der Vorwurf, die Gnosis würde den Menschen „vergotten“ wollen,  zutreffend ist – sie tut es fortwährend und hat es immer getan – aber die Bezugsgrößen stimmen nicht. Denn der religiöse Bereich impliziert hier jene Vorstellungen, die man in jedem seiner Systeme wiederfinden kann: die Gestalt des allwissenden, allsehenden, allmächtigen und allweisen, über alles und alle erhabenen Gottes – und genau dies ist in der Gnosis nicht gemeint, wenn sie denn schon in die Nähe solcher Formulierungen gerät. Formulierungen wie „Vater“, „Abgrund“ und so weiter sind in der Gnosis nämlich nicht theistisch gemeint und schon gar nicht theologisch,  Gnosis ist ihrem Wesen nach zutiefst areligiös. Sie sucht nicht Gott, sondern sie will Antwort geben auf die Frage, warum es menschliche Vernunft im Universum gibt und was menschliche Vernunft in Wahrheit ist, nämlich gestaltende Kraft und verändernder Wille. So besitzt die Vernunft eben jene Eigenschaft, die grundlegend für den menschlichen Begriff von Göttlichkeit ist und aus der alles andere eher spielerisch hervorgeht. Eine besondere Beschaffenheit, die sich von der des Menschen grundsätzlich unterscheiden würde, gibt es darin nicht. Jeder Mensch kann, solange er lebt, diese Kraft in sich erkennen, erwecken und wirksam machen.

 

Allerdings ist die Wirksamkeit dieser Kraft durch den Umstand gebunden, dass sein grundlegendes Wesen dem Menschen im Allgemeinen nicht bekannt ist. Das ist auch gut so, denn, wäre sie ihm bekannt, würde er in der Umgebung, in der er sich befindet, gar nichts erkennen können. Nur indem er ihren Bedingungen angeglichen existiert, kann er sich in Beziehung zu den dortigen Phänomenen setzen. So wird mit der Geburt des Menschen ein Schnitt gemacht, der alles, was ihn bis dahin umgeben hat, eliminiert; nur das, was er in sich trägt, kann nicht eliminiert werden, findet aber auch keinen natürlichen Anhaltspunkt, sich zu entfalten: es ruht in ihm und wartet auf seine Stunde, falls die denn kommt. Physiologisch ist diesem Sachverhalt ein Ressort zugeordnet, das der Mensch im Schläfenlappen  mit sich trägt und das, angesprochen, mit Lichterscheinungen reagiert, die nachgewiesen werden können und nachgewiesen worden sind. Wird diese Region auf materiellem Weg gereizt,  kommt es zwar zu einer entsprechenden Reaktion, jedoch ergeben sich daraus keine weitergehenden Schlüsse. Wird sie jedoch auf dem Weg emotionaler Inbrunst angesprochen, ergibt sich daraus die teilweise Aufhebung der bei der Geburt verhängten Absperrung und der Mensch erhält zumindest die Möglichkeit, sich seiner wahren Bestimmung zu nähern – allerdings ist, was er da erlebt, noch nicht vergleichbar mit dieser. Sie ist aber leider auch, historisch betrachtet,  dafür verantwortlich, dass es auch in unserer Zeit Religion gibt, denn der Mensch erlebt dies nicht als einen in ihm selbst befindlichen Vorgang, er erlebt es als etwas, das von außen an ihn heran tritt. So kommt es zu dem, was der Mensch „Gotteserfahrung“ nennt und so kommt es dazu, dass er sich diese „Götter“ als Lichtgestalten denkt… er kann dies und seine irdisch begrenzte Existenz im Allgemeinen nicht miteinander zusammen bringen.

Was diese Unfähigkeit bewirkt, können wir alle an der derzeitigen Weltlage studieren, in der Menschen zwar intuitiv mit der Kraft von Göttern wirken, aber dessen ganz und gar unbewusst sind und dabei vermutlich mehr „Porzellan“ zerschlagen als sie jemals wieder werden ersetzen können. Denn Wunder lassen sich auf diesem Planeten nun einmal selbst für Götter nicht tun. Materie ist von ihrem Wesen her eine recht starre Angelegenheit, ihre vornehmste Eigenschaft ist nicht Kreativität, sondern Funktionalität und was kaputt ist, das ist kaputt. Lediglich in dem, was in Bewegung ist, hat der Mensch einen gewissen Handlungsspielraum in Bezug auf die Richtung, die eine solche Bewegung nimmt und wir sehen, in welcher Weise er denselben nutzt: zuallererst dazu, immer effizientere Waffen gegen sich selbst zu erfinden, weil er die eigene Sterblichkeit und sein tiefinneres Empfinden der Unsterblichkeit ebenfalls nicht zusammen bringen kann. Es kann doch nicht sein… doch, es kann sein. Der getötete Mensch steht nicht wieder auf und geht seiner Wege wie es das „kosmische“ Wesen ohne weiteres tut. Der Mensch handelt inspiriert von seiner Göttlichkeit, aber er ist sich derer nicht im Mindesten bewusst und so weiß er eigentlich gar nicht, was er tut, er interpretiert es sich nur. Was notwendig wäre,. damit Aktion und Reflexion harmonieren: der Mensch müsste zum Bewusstsein der eigenen Beschaffenheit kommen.

Diese Arbeit nun leistet aber genau die Gnosis, sie bringt zusammen,  was zusammen gehört und einer dieser Nebeneffekte ist, dass sie den Menschen dadurch auch auf eine ethisch höhere Stufe befördert, als er sie bis dahin inne hatte. Aber das ist, wie gesagt, vor dem eigentlichen Anliegen der Gnosis, nämlich das missing link zu sein, das die Aspekte vernünftigen Lebens zueinander finden lässt, lediglich ein sich mit ergebender Effekt, es ist nicht der Zweck derselben. Gnosis ist keine moralische Institution, sondern eine existenzielle Möglichkeit, welche dann in Erscheinung tritt, wenn der Mensch die ihm vom Irdischen her gegebenen Möglichkeiten ausgeschritten hat, wenn er sozusagen als Mensch „austherapiert“ ist. Alles, was bis zu diesem Moment, bedingt durch Zwangshandlungen wie Trance, Rauschmittelgebrauch, extreme Askese und erzwungene Meditation in Erscheinung tritt, sind Bruchstücke, deren Sinn immer und jederzeit missverstanden wird. Zwar wird das Interesse des Menschen an der „Transzendenz“ dadurch angeregt und wachgehalten, aber eben dieses Interesse wird auch auf fatale Weise fehlgeleitet. Es wird nämlich auf ein „Göttliches“ hingeleitet, das dem Menschlichen scheinbar unerreichbar gegenüber steht. Er selbst bleibt als unvollkommener Rest eines vollkommenen Daseins frustriert zurück… und verkennt so die Grundlagen seiner eigenen Existenz, weil er die grundlegenden Prioritäten derselben nicht zu gewichten vermag. Mit diesem Irrtum räumt Gnosis auf… aber sie kann nicht wirksam werden, ehe nicht dies Stadium erreicht und ausgeschritten ist. Daher wird kein Mensch von der Religion zur Gnosis kommen, aber nur der ist ganz und gar von ihrem Wirkungsfeld  abgeschnitten, der keines der Erlebnisse, welche Religion begründen, jemals kennen gelernt hat.

Weil die Gnosis von den Theologen in den Ruf gebracht worden ist, eine weitere Strömung von Gottsucherei zu sein, nehmen viele Menschen an, dass sie eine Erweiterung dessen wäre, was sie bereits in der Religion erfahren haben. Das ist ein fataler Irrtum, denn nicht mehr über „Gott“ ist zu erfahren, sondern die Kluft zwischen Gott und Mensch ist zu schließen indem der Mensch das von seinem Gott Geglaubte als existent in sich selbst  erfährt.

Aber was erfährt er da? Ich will es anhand eines niederdeutschen Märchens erklären, das allbekannt ist, da es sich in der Grimm’schen Sammlung findet: Das Märchen vom Fischer und syner Fru. Wie bekannt, ist die Frau des Fischers mit ihrer Existenz höchst unzufrieden und der Fischer leidet unter ihren Launen. Eines Tages fängt er einen großen Butt (den großen Fisch des Thomasevangeliums), der ihn bittet, ihn leben zu lassen, er könne alle Wünsche erfüllen. Schweren Herzens stimmt der Fischer dem zu, aber er will die Probe aufs Exempel und in der Tat, als er heimkommt, steht da anstelle der armseligen Kate ein stattliches Haus… und so geht es weiter bis dahin, dass die Frau Papst werden will. Auch diesen Wunsch erfüllt der Butt ohne mit der Wimper zu zucken. Aber dann schnappt sie scheinbar über: sie will der liebe Gott werden und der Fischer wagt es kaum, dem Butt diesen Wunsch zu übermitteln, aber der bleibt ungerührt und sagt Erfüllung auch hierin zu. Als der Fischer heimkehrt findet er also seine Frau wieder in ihrer alten Kate und der naive Mensch meint nun, der Butt habe sie für ihren Hochmut gestraft. Aber dieses Märchen hat es in sich… es ist das einzige gnostische Vokabelmärchen, das sich in der ganzen Sammlung findet und der Umstand, dass es niederdeutscher Herkunft ist, belegt den oft bestrittenen Befund, dass gnostische Traditionen durch das gesamte Mittelalter und in ganz Europa präsent gewesen sind, also keineswegs nur im südlichen Frankreich und in Norditalien und zwar in höchst „sauberer“ Form[1]. Der Butt ist der bevollmächtigte Vermittler der Gnosis, eben der „große Fisch“ des Thomasevangeliums. Der Fischer ist der Bote, die Frau der Empfänger der Gnosis, welcher die Unzufriedenheit im Herzen stillen möchte , aber nicht ruhen kann, ehe sie ihr Ziel „der liebe Gott sein“ erreicht hat.

Sie erreicht ihr Ziel, aber was erreicht sie? Dass sie wieder in ihrer Hütte sitzt und alles scheint zu sein wie es vordem war, alle anderen Stufen, König, Kaiser, Papst, waren nur Imaginationen. Und – eben diese scheinbare Zurückstufung auf das Existenzielle ist damit gemeint, wenn die Gnosis davon spricht, dass man „wie Gott“ oder auch, mit Müntzers Worten, „christförmig“ geworden ist. Denn es ist nichts wie es vordem gewesen, auch wenn sich vorderhand anscheinend alles gleicht. Die Qualität des menschlichen Daseins ist als menschliches Dasein eine andere geworden, das Leben und zwar nicht nur das eigene, ist durchsichtig geworden, seine Bedingtheiten einsichtig, aber es ist kein anderes Leben als der Mensch es sich aufgebaut hat: die Frau sitzt in der Fischerhütte, weil sie die Frau des Fischers ist und ihr Lebtag niemals auch nur in die Nähe eines Königsthrons gelangte  – aber Gott zu sein steht ihr jederzeit frei, weil sie Mensch ist, dazu braucht sie weder Kaiser, noch Papst zu sein. Denn Gott zu sein bedeutet nicht, die Welt zu beherrschen, aber es bedeutet, zu wissen warum kein Mensch ein Weltherrscher sein kann. Dass er es immer wieder werden will, liegt an dem völlig verqueren und verquasten Bild, das er von Herrschaft hat. Denn Herrschaft ist vor allem und grundlegend erst einmal Herrschaft über sich selber und – wer von unseren Hochfinanziers, Waffengrossisten und Börsenspekulanten, von den Politikern gar nicht erst zu reden hätte jemals auch nur nach der Herrschaft über sich selbst auch nur gestrebt, an ein Erreichen gar nicht erst zu denken.

Ein solches Gottsein wie es die Gnosis meint,  unterscheidet sich denn doch signifikant, meine ich, von den Vorgaben, welche die Religionen machen. Es gibt dem Menschen nur das, was er längst ist, es bringt sein Innerstes nach außen, es verändert seine sozialen Umstände nicht, aber es verändert seine Sicht dieser Umstände. Man kann an ein solches Gottsein nicht glauben, kann es nicht verehren, nicht anbeten, aber man kann es handhaben, kann sich entsprechend verhalten. Man kann als solch ein Gott, die Welt nicht ändern noch retten und keine Kuh wird deshalb dahin oder dorthin fliegen, sondern sie werden alle schön auf ihren Weiden bleiben, denn da gehören sie hin und nirgendwo anders. Aber der so zu Gott wurde, weiß auch, dass dies alles unnötig und nur einer naiven Vorstellung entsprungen ist wie sie die Religionen – und zwar alle – haben. Gleichwohl ist er kein Atheist – wie denn, soll er sich vielleicht selbst für nichtexistent erklären?

Ist es da ein Wunder, wenn auch der Mensch in der Gnosis einen ganz anderen Stellenwert hat als im Christentum oder auch im Manichäismus mit seinen Dualismen und in allen anderen Religionen? Er ist ein „Gott in spe“, was an und für sich schon unehrerbietiges Verhalten ihm gegenüber ausschließt und so bekommt das alte Verbot der Gewaltanwendung einen von aller Dogmatik freien Sinn, denn wer will schon seinem Kameraden ein Leid antun? Im Gegenteil, sollte er von irgendwelchem Leiden betroffen sein, wird man alles daran setzen, ihm zu helfen und so heißt es denn auch: die unter ihnen krank sind, heilt und damit sind nicht nur körperliche Leiden gemeint. Die Loyalität des Gnostikers gilt allen Menschen unterschiedslos, allerdings ist er nicht gehalten, sich alles und jedes von jedem gefallen zu lassen, denn: einen rächenden göttlichen Oberherrn, der für ihn eintreten könnte,  hat er nun einmal nicht. Entweder wehrt er sich selbst gegen Übergriffe indem er Vorkehrungen dagegen schafft,  oder es wird niemanden geben, der dies für ihn tut und das Unrecht bleibt ungesühnt. Daher auch erklärt sich zum Beispiel Müntzers Engagement für die Unterdrückten seiner Zeit, ihm blieb als der Gott, der er geworden war, gar keine andere Wahl als seinesgleichen in Nöten beizustehen und führe dies auch in den eigenen Tod. Auf der anderen Seite entspricht dem dann aber die mangelnde Todesfurcht, denn der Tod ist für einen solchen Gott nicht das Ende, sondern die Heimkehr in sein Eigen. Sicher haben jene Katharer ganz menschlich den Schmerz des Feuers gefürchtet, in das sie gingen – aber sie wussten einen Augenblick gegen die Ewigkeit zu gewichten und außerdem: ein Leben als Christen, als einem allmächtigen Gott auf Gedeih und Verderb unterworfene Sünder, war ihnen nicht mehr möglich. Wer diesen Schritt gewagt hat – und ohnedem bekamen sie den Rang eines Katharers gar nicht erst zugesprochen – der kann sich Dogmen und Riten nicht mehr unterordnen. Daher ist auch das berühmte Melioramentum kein Beichtakt, sondern eher ein Beratungsgespräch zweier initiierter Katharer über den Stand der Dinge und das weitere Vorgehen in einer bestimmten Sache. Zu beichten hatten sie einander nichts und zu vergeben demnach auch nichts. Für ihr  Verhältnis zu den Credentes galten allerdings andere Parameter, die dem christlichen Brauch ähnlicher gewesen sein mögen. Dies war auch der Grund, warum sie keinen Sex brauchten – sie hatten alles, was sich ein Mensch sonst durch sexuelle Betätigung erwerben muss, im Überfluss: die menschliche Nähe. Dass sie es nicht getan haben sollten, weil sie die Schöpfung des Demiurgen nicht verlängern wollten  – für die mehr manichäisch ausgerichteten „Byzantiner“ mag das zutreffend gewesen sein, für sie, gestandene Gnostiker, konnte keine Rede davon sein, dass es einen Demiurgen auch nur geben sollte. Alles, was heute noch mit solchen Mythen spielt, ist von Gnosis weiter entfernt als Atheismus es von Religion ist. Ein Menschenbild, das darauf angewiesen ist, mit Mythen zu operieren, ist eines Gnostikers unwürdig. Aber gerade der Erfindung von Mythen wurde die Gnosis doch (und wird sie) von Seiten der Religion angeklagt? Nun, ich kann nichts dafür, wenn ABC – Schützen sich ein Urteil über die Weltliteratur erlauben – das wird man allseits einsehen. Zur Bestimmung des Menschen vorzudringen ist der Religion nicht möglich[2], sie formt stattdessen ihre eigenen Zwecke und macht sich mit Hilfe eines Gottesbildes den Menschen dienstbar, statt ihn zu befreien, entfremdet ihn sich selber statt ihn zu sich hin zu leiten.

Die Vorstellung der Gnosis von einem Gott deckt sich mit der Vorstellung der Gnosis vom Menschen und aus diesem Grunde geben die alten Dokumente auch dem mythischen Adam oft eine herausragende Rolle und wenn Jesus  vom Menschensohn spricht, meint er genau diesen zur Erkenntnis der eigenen Beschaffenheit gelangten Menschen. Und wie ist der? Er ist weder allwissend, noch allmächtig, er macht Fehler und begeht Irrtümer, aber er weiß, warum er sie begeht und dass zwischen Wahrheit und Irrtum eigentlich gar kein Unterschied besteht, denn das Eine führt in der Sache stets zum Anderen. Der Gott der Gnosis ist lernfähige und lernende Unsterblichkeit. Denn sich selbst als Gott erkannt zu haben, ist nur der Anfang einer neuen Qualität des Unendlichen. Der sich selbst Bekannte weiß, dass Vollkommenheit eine Chimäre ist, dass nichts, was vollkommen ist, bestehen kann und so auch der vollkommene Gott schon per se tot ist, denn es gibt für ihn keine Perspektive. Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch besteht lediglich in der Tatsache, dass der Mensch allein von sich aus zur Erkenntnis seiner eigenen Göttlichkeit nicht kommen kann, da er sich als geschlossenes biologisches  System in einem geschlossenen System befindet, das Welt genannt wird. Um dessen Relativität zu erkennen bedarf er eines Anstoßes, den die Gnosis geben will – mehr will und kann sie nicht tun. Sie kann dem Menschen, der mit dem Status quo seines Lebens nicht mehr zufrieden ist, die Hilfsmittel zeigen, die ihn aus dem geschlossenen SystemWelt hinaus bringen können. Wer indes mit seinem Status quo zufrieden ist, den will sie nicht aufscheuchen und deshalb missioniert sie nicht, sondern macht lediglich freibleibende Angebote.

Allerdings: an dem vorbei, was sie anzubieten hat, gibt es kein Weiterkommen und manche Eitelkeit muss sich dem erst in schweren inneren Kämpfen ergeben. Einzusehen, dass es etwas gibt, das er nicht in sich trägt, sondern das ihm gesagt werden muss, macht insbesondere dem Menschen unserer Kultur Beschwernis, der stolz auf seine Errungenschaften und seinen Status als geistig angeblich[3] autarkes Individuum ist. Nun soll er sich wieder einem Regime unterordnen? Wenn dem so ist und ihn dieser Widerwille beschleicht, kann das deshalb  sein, dass er mit seinen bisherigen Versuchen noch nicht zu einem wirklichen Ende gekommen ist. Er verspricht sich noch immer etwas von Anderen, sei es die Philosophie, sei es die Religion oder bloße Spiritualität ohne personale Fixierung. Es kann auch sein, dass die Mittel, welche die Gnosis ihm an die Hand geben will, ihm zu „gewöhnlich“ erscheinen. Dabei spielt sicher im Hintergrund wieder die Annahme eine Rolle, dass „Gottsein“ etwas Außerordentliches sein müsse, zu dem auch nur außerordentliche Mittel und Wege verhelfen könnten;  nichts ist törichter, als eine solche Annahme. Denn wenn das Gottsein ein sozusagen natürlicher Urzustand des Menschseins ist, dann sind auch die Wege dahin keine extraordinären, sondern allgemein zugängliche: Gefühl, Traum,  nachgehendes Denken, alles das sind Elemente, die im Grunde jedem vertraut sind und auch vertraut sein müssen, denn Gnosis ist, allen gegenteiligen Vermutungen zum Trotz eben keine exklusive Angelegenheit, sondern schlussendlich das Ziel aller Menschlichkeit auf Erden und so muss auch alle Menschlichkeit auf Erden die Möglichkeit haben, zu derselben zu gelangen, weil es ihr gemeinsames Ziel ist und die Welt um ihretwillen besteht. Allerdings werden wir noch geraume Zeit darauf warten müssen, dass dieses Ziel erreicht wird, denn: Erkenntnis ist kein leicht gängiges Ding, sondern sie will Schritt für Schritt erobert sein, der Mensch aber hat aus den verschiedensten Gründen eine „lange Leitung“, die braucht er auch, aber sie strapaziert die Geduld derer, die meinen, es bereits geschafft zu haben, meist aber nur an ihre eigene Göttlichkeit glauben, ohne dieselbe jemals auf die Probe zu stellen.

Sie will aber auf die Probe gestellt werden. Der Mensch soll nicht daran glauben, dass er ein Gott ist, sondern er soll und muss es erfahren, er muss täglich und stündlich damit umgehen können und dazu muss er alle seine Kräfte zulassen können und zugleich auch lernen, sie verantwortlich einzusetzen. Denn: Gott zu sein bedeutet ja nicht, unfehlbar zu sein. Es bedeutet nur, bewusst Einfluss auf Dinge nehmen zu können, so man will. Das können durchaus auch die „falschen“ Dinge sein und wer das nicht glaubt, der betrachte den Zustand unserer Zivilisation. Dennoch ist auch diese notwendig um Nährboden zu sein für spätere, achtsamere Hochkulturen, die noch auf den Menschen warten. Wir sollen nicht glauben, sondern wissen, sagt Müntzer, der letzte namhafte Gnostiker vor der Wiederentdeckung der Gnosis in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Aber wie sollen wir wissen, ohne zu  erproben?

Wie es geht, mit dem nur geglaubten Gottsein, sehen wir an der Esoterik. Diese Menschen wissen, dass es etwas anderes gibt, aber eben dadurch, dass sie an „etwas anders“ glauben, gehen sie bereits in die Irre und doch gehen sie recht, denn der Irrweg durch „das  Andere“ wird sie wieder auf sich selbst zurück führen und Zeit – haben wir genug. Sie erproben es auch, aber sie finden sich nicht selbst als Ursache der Wirksamkeit, sondern schreiben sie dem und diesem zu. Erst wenn der erste Atheist sich als Wunderheiler erfährt, wird es Zweifel an solchen Zuschreibungen geben, denn: der hat nichts, dem er sie zuschreiben könnte. Ja, sicher, er wird tausend Zufälle bemühen, was aber, wenn unter ganz anderen Zufälligkeiten sich solche Fähigkeiten als stabil erweisen? Dann bleibt nur er selbst als Verursacher derselben übrig. Mit Sicherheit wird er sich schwertun, dies anzuerkennen, aber zuletzt wird ihm nichts anderes bleiben und so hätte der Atheist unter diesen Umständen – aber nur unter diesen – einen stabileren Zugang zur Gnosis gefunden als ihn jeder Christ, ja jeder Religiöse, finden kann. Solche „Esoteriker“ gibt es bereits, sie sind aber bis dato nur eine verschwindende Minderheit in einer Masse, die vor Ergriffenheit über die „Wundertaten Gottes“ atemlos verharrt und – innerweltlich – nach Methoden sucht, sich diesem Gott zu nähern. Die Methode der Gnosis wird dabei oft bewusst vermieden, denn man spürt instinktiv, dass diese nicht dahin führt, einen Gott vor sich zu erkennen, sondern dahin, die Dualität von Gott und Mensch aufzuheben, „die Zwei zu einem zu machen“ wie es im Thomasevangelium, dem einzig allgemein verbindlichen Dokument der Gnosis, heißt.

Die Heimat eines solchen Gottes ist das Unendliche. Damit ist eine weitere Schwierigkeit für den gegeben, der sich als einen solchen Gott nur glauben will, denn der Mensch, der er weiterhin ausschließlich ist, kann, von Endlichkeit umgeben, keinen Begriff davon haben, was Unendlichkeit sei. Alles, was darüber gesagt werden kann, wird ihm als bloße Theorie, als bloße Annahme erscheinen, also kann man es im Grunde auch sein lassen, ihm etwas darüber zu sagen. Diese Heimat ging ihm aber nie verloren und so findet sich auch der Mensch, der sich als Gott gefunden hat, zu seinen irdischen Lebzeiten inmitten des Unendlichen. Sie ist nicht „hier oder dort“, sondern in Wahrheit „innerhalb und außerhalb“ von ihm, sie ist nicht transzendent, nicht immanent, sondern schlicht und einfach existent. Unendlich heißt nämlich, und das wird gern vergessen, nicht nur unendlich groß, sondern auch ebenso in der Gegenrichtung unendlich. Es ist nicht nur unendlich fern, sondern auch unendlich nah und alles das zugleich, denn Zeit und Raum sind für das Unendliche ohne Bedeutung wie Leben und Tod, es gibt nur unendliches Leben. Das macht, dass die Perspektive eines Menschen, der sich als Gott erkannt hat, von Optimismus nur so strotzen sollte, denn für ihn ist alles unendlich offen und gestaltbar. Dieser Optimismus begreift selbstverständlich diese Welt mit ein, die wohl als solche vergänglich, deren Essenz aber gleichermaßen unendlich ist und die in allen, die sie erlebt und mitgestaltet haben, fortdauert. Hat man die Gnosis pessimistisch genannt? Nun, dann hat man sie ein weiteres Mal nicht verstanden.

Also:  wenn ein Gnostiker Gott sagt, meint er nicht die Gottesvorstellung der Religionen. Mit ihnen wird seine Lebenshaltung zu Unrecht vergesellschaftet. Das Menschenbild eines Gnostikers ist eben wegen seiner Lebenshaltung nicht pessimistisch, vielmehr ist es, auf seine Perspektive hin betrachtet, durch und durch optimistisch. Dies bedingt eine unbedingte Mitmenschlichkeit und beinhaltet gesellschaftliche Aktivität auf allen Ebenen, auf denen ihm das konkret möglich ist. Missvergnügen hat darin ebenso wenig Platz, wie Überheblichkeit, aber auch Demutshaltungen sind ihm nicht angemessen. Er weiß, was er weiß und er ist, was er ist – das beinhaltet auch, dass er sich darüber im Klaren ist, dass er nicht jederzeit alles wissen und alles sein kann und seine eigene unendliche „Unfertigkeit“  nicht als Makel sieht. Da der Irrtum Bestandteil des Lernens ist, kann er ihn durchaus ertragen. Der Gott, der er ist, ist auch frei von Eitelkeiten und Profilsucht – andererseits macht er aus seinem So – Sein auch kein Hehl und es schert ihn herzlich wenig, was die, welche sich nicht erkannt haben, davon halten. Wenn diejenigen klug sind, werden sie Fragen stellen, sind sie es nicht, werden sie ungehalten sein. Ihn aber berührt das nicht oder nur in Form des Mitgefühls für seine ach so stumpfsinnigen Mitmenschen, die es gleichwohl nicht gut vertragen, wenn man an ihren Stumpfsinn rührt. Der Gott in ihm weiß nur zu gut, wie schwer es Menschen fallen kann,  zu festen Positionen zu finden und wie ungern sie dieselben dann wieder aufgeben oder auch nur überprüfen wollen. Er ist ja alle diese Wege ebenfalls gegangen ehe er dahin kam, wo er sich jetzt befindet und wo derartige Positionen zu vernachlässigen sind, weil die Spiegelung des Lebens in ihnen eben nicht das Leben ist. Aber Verständnis für etwas zu haben, bedeutet ja nicht, es billigend in Kauf zu nehmen….

 

 


[1] … wie alles, was von der Katastrophe von St. Felix de Caraman 1197 nicht erreicht wurde, sondern in der westlichen Tradition der Gnosis ungestört weiter arbeiten konnte, dazu zählen auch die gnostischen Zentren im Harzland (Halberstadt und Umgebung)  und in Hessen (Gutleuthof bei Frankfurt).

[2] Dem formalen Atheismus ist es allerdings auch nicht möglich, da er sich eher als eine „gegen“ als eine „ohne“ Gott – Bewegung ansieht und überdies völlig in der Immanenz verhaftet bleibt. Das sind Leute, die in Wahrheit Totes an sich genommen haben, aber nicht um es am Leben zu erhalten, sondern um mit ihm zu sterben.

[3] Der Mensch ist, betrachtet man ihn genauer, als Mensch allerdings alles andere als  autark, sondern von unzähligen Faktoren abhängig, die seinen Lebensweg unentwegt beeinflussen.

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